Mittwoch, Mai 31, 2006

Ein kurzes Wochenende

Freitag vormittag klingelte mein Handy wie verrückt: ein Notruf meiner Kollegin Silke, die ganz dringend einen Swap am Dienstag brauchte, ohne den sie ihren Trip nach Tōkyō hätte vergessen können. Na ja, Notfall ist Notfall, also habe ich mit einem tiefen Seufzer meinen eigenen Ausflug nach Nara um eine Woche verschoben und zugesagt, die Schicht am Dienstag nachmittag für sie zu arbeiten. Im Gegenzug bekomme ich einen ihrer freien Sonntage Mitte Juni, da habe ich ein Drei-Tage-Wochenende - ist doch auch schön. Und meine Mutter hat eine Woche Ruhe, bevor ich die nächsten Fotos von schönen Tempeln veröffentliche. ;-)

Am Montagvormittag fand hier in Ōsaka ein kleines Blogger-Treffen statt. Julia hat mit Mann und Kind Japans häßlichste Stadt besucht, und erfreulicherweise haben wir es geschafft, einen für uns beide genehmen Termin zum Kaffeetrinken zu finden. Das ist schon verrückt: einerseits kennt man sich überhaupt nicht, andererseits aber irgendwie doch. Beim Starbucks in Shin Ōsaka jedenfalls haben wir uns dann endlich auch persönlich kennengelernt und uns über unsere Erfahrungen in Japan ausgetauscht. Ein sehr nettes Treffen. Für mich persönlich war es außerdem faszinierend mitanzusehen, wie Japaner auf ein deutsches Kleinkind reagieren, zumal wenn es noch blond und blauäugig wie Jakob ist: "kawaii! kawaii!" Sobald wir den Starbucks betreten hatten und vor dem Tresen standen, brachte einer der Verkäufer einen kleinen Plastikbecher mit Apfelsaft für den Kleinen. Das ist Service! Aus Deutschland kann ich mich nur an vereinzelte Wurstscheiben vom Schlachter unseres Vertrauens erinnern.

Anschließend fuhr Julia samt Anhang nach Kyōto, und ich zum Sprachaustausch. Weiter ist am Montag nichts Spannendes passiert. Am Dienstagmorgen bin ich dann wie immer zum Japanischunterricht gefahren, habe anschließend gut zwei Stunden im Café gesessen, ein Bento gegessen und weiter Japanisch gelernt und irgendwann mein Buch rausgeholt. Zwischen Unterricht und Arbeitsbeginn nach Hause zu fahren hätte sich nicht gelohnt, also habe ich die Zeit vor Ort überbrückt. Im MMC traf ich Cari, die auch einen Swap ableisten mußte. Leidensgenossinnen unter sich.

Etwas Gutes hatte der gestrige Tag aber auch: nach gut einem Monat Pause habe ich endlich einmal wieder Demos unterrichten dürfen. Woran es liegt, weiß ich nicht, aber es ist schön, endlich mal wieder Demos im Stundenplan zu haben. Gestern waren es gleich drei. Mit einer befriedigenden Anzahl von No shows.

Heute hatte ich noch eine Demo der besonderen Art. Den Informationen von "ihrer" Branch zufolge will die junge Frau Mitte Juni zur Fußball-WM nach Deutschland fahren und bis dahin Deutsch sprechen können. Vorkenntnisse: Null.
Denn man tau. Oder, wie der Japaner sagt: ganbatte.

Sonntag, Mai 28, 2006

Ein Volk von Jasagern

Vor vielen Monaten, als ich zur Vorbereitung meines Auslandseinsatzes ein paar Bücher über Japan aus der heimischen Bücherei geholt habe, wurde ich schon auf ein typisch japanisches Phänomen aufmerksam gemacht: sie sagen ungern "Nein" und vermeiden es, wo es geht.

Von dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage kann ich mich täglich während meiner Arbeit überzeugen. Man könnte die Sache auch noch dahingehend präzisieren, daß Japaner so gut wie nie "Nein" sagen.

Am Ende einer jeden Stunde fasse ich das jeweilige Thema kurz zusammen, schreibe einen oder zwei Schlüsselsätze auf und frage danach jeden Schüler einzeln, ob er oder sie das verstanden hat:

"Satomi/Hiroshi/Kumiko/Masataka/..., ist das okay?"
"Ja. [Kurze Pause] Das ist okay."

Das ist die einfache, weitestgehend fallstrickfreie Variante, die auch nach jeder neu eingeführten Phrase oder Vokabel zur Anwendung kommt. Da geht selten was schief. Die meisten sind ja auch ganz mutig und sagen "nicht okay", wenn ein Wort unbekannt ist. Einige aber schwanken zwischen "ich habe keine Ahnung, was hier abgeht" und "aber zugeben kann ich es auch nicht". Ihr Heil suchen sie dann konsequenterweise in der Mitte: "Vielleicht okay."
Meine Reaktion darauf hängt im Wesentlichen von der Person des Schülers und meiner Tagesform ab. Bei besonders schüchternen, unsicheren Schülern und guter Laune frage ich dann nach: "Und was ist vielleicht nicht okay?". Ansonsten bin ich da ganz rigoros: "'Vielleicht okay' gibt es nicht! Was ist nicht okay?"

Oft frage ich zum Abschluß aber auch:
"Yuki/Masao/Miki/Takashi/..., haben Sie noch eine Frage?"

In ca. 98 Prozent der Fälle sieht der Kurzdialog dann so aus:
"Haben Sie noch eine Frage?"
"Ja. [Kurze Pause] Das ist okay."

Oder:
"Haben Sie noch eine Frage?"
"Ja. [Kurze Pause]. Ich habe keine Frage."

Freitag, Mai 26, 2006

Neuanschaffung

Montag und Dienstag habe ich verschlafen und bin jeweils eine Stunde später als geplant/gewünscht davon aufgewacht, daß Anita den Wasserkessel auf den Herd gestellt bzw. die Waschmaschine angeworfen hat. Wirklich schlimm war es nicht, weil ich trotzdem noch genug Zeit hatte, zu duschen und etwas Nahrung, v.a. in Form von Kaffee, zu mir zu nehmen, bevor ich das Haus verlassen mußte. Da ich morgens immer nur gaaanz langsam in Gang komme, plane ich ja immer etwas mehr Zeit ein. Nur keine Hektik, das ist das wichtigste.

Das eigentliche Problem bestand darin, daß ich mein deutsches Handy (hier bislang mein Weckerersatz) zweimal in Folge nicht gehört habe. Und das, obwohl es nur 30 bis 50 Zentimeter von meinem Kopf entfernt auf dem Boden liegt. Das läßt sich nicht mehr mit temporären Störungen, sondern nur noch mit Systemausfall erklären.

Da meine Japanischstunde am Dienstag in Namba stattfindet, wurde am Morgen also noch unter der Dusche der Entschluß gefaßt, nach der Stunde und dem Mittagessen mit Nicky einen richtigen Wecker zu kaufen. Den Den Town, Osakas Einkaufsparadies für Elektrogeräte aller Art, ist ja nicht weit. Dummerweise fing es während der Stunde zu regnen an, und ich hatte ausgerechnet an dem Tag keinen meiner Regenschirme dabei. Die Begeisterung, durch Den Den Town zu laufen und einen passenden Wecker zu kaufen, sank rapide ab. Wenn ich am Mittwoch nicht schon um 10:50 anfangen müßte, hätte ich die Anschaffung ja verschoben (vermutlich auf Sankt Nimmerlein), aber hier war Eile geboten. Und dann fiel mir plötzlich ein, daß ich bei Maruzen, dem Schreibwaren- und Andenkenladen im 5. Stock des OCAT schon mal Wecker gesehen hatte. Also nichts wie hin. Nach Den Den Town konnte ich ja immer noch laufen.

Ich bin auch fündig geworden. Es gab eine kleine, aber feine Auswahl an Weckern. Ich war auch kurz davor, mir so einen richtig brutalen Wecker mit zwei Klingeln oben drauf zu besorgen, aber aus Rücksicht auf Claudia habe ich das doch lieber sein gelassen. Statt dessen wurde es dann dieses Exemplar: durchdringend laut, die Beschriftung der kleinen Bedienungsknöpfe auf der rechten Seite ist in Englisch, was bedeutet, daß ich nicht auf die japanische Bedienungsanleitung angewiesen bin, und optisch gefällt er mir auch sehr gut. Mit 5.000 Yen war er zwar etwas teurer als geplant, und ich war auch schon seufzend auf dem Weg nach draußen, um durch den Regen nach Den Den Town zu marschieren, als mir plötzlich aufging, daß ich mehr als 5.000 Yen verliere, sollte ich auch nur eine Stunde wegen Verschlafens verpassen. Damit war der Kauf gerechtfertigt und wurde getätigt.


Ist er nicht schick?! Ja, das unten rechts ist eine Temperaturanzeige. Und ja, das ist in meinem Zimmer aufgenommen worden.

Dienstag, Mai 23, 2006

Gaaaaanz viele torii

"Ich kann keine japanischen Tempel mehr sehen", sagte meine Mutter am Freitag, als ich ihr telefonisch zum Geburtstag gratulierte, "die sehen doch alle gleich aus". Banausen. Zur Strafe gibt es jetzt jede Menge Bilder von torii, den schönen roten Toren, die ein Kennzeichen der Shintō-Schreine sind und auch immer gleich aussehen.

Aber der Reihe nach. Hier hat urplötzlich der Sommer angefangen, und bevor die Temperaturen ins unerträgliche steigen, wollte ich noch ein paar Besichtigungen machen. Ein Punkt auf meiner Wunschliste war Fushimi Inari-Taisha in Kyōto. Ein bißchen unter den Kollegen rumgefragt, wer Lust hat, und so sind Cari und Ellie am Montag mitgekommen. Mit JR ging es nach Kyōto Station, wo wir auf eine andere Linie umsteigen mußten. Über eine halbe Stunde saßen wir auf dem Bahnsteig herum und warteten auf einen Local Train, der uns zur JR Inari Station bringen sollte. Dafür konnten wir einer gewagten Rettungsaktion zusehen. In dem Express, der an dem Bahnsteig zur Abfahrt bereit war, war jemand kollabiert. Aufgeregte Fahrgäste verließen den Zug, rannten zum Führerhäuschen, um dem Zugführer Bescheid zu geben, der alarmierte offensichtlich die Notfallkräfte. Zuerst kamen Polizisten. Nach einer Weile auch die Feuerwehr. Nach einer weiteren Weile wurden einige Tragen herbeigeschafft, nach weiteren Minuten brachte jemand ein zusammenfaltbares Brett (das dazu dient, den Spalt zwischen Bahnsteig und Zug für Rollstuhlfahrer zu überbrücken), dann kamen noch ein paar Leute in Uniform. Das klingt jetzt dramatisch, aber das alles ging unglaublich langsam vonstatten. Die meisten standen die ganze Zeit untätig herum. Und wozu man mehrere Tragen benötigt, wenn eine Person zusammengebrochen ist, konnten wir uns auch nicht erklären.
Nachdem der Zug endlich abgefahren war, bemerkte Ellie dann, daß die Local Trains von einem anderen Bahnsteig aus abfuhren. Dumm gelaufen. Na ja, Gaijins in Japan.

Die Fahrt zur Inari Station dauerte nur fünf Minuten, und als wir aus dem Stationsgebäude traten, war auf der anderen Straßenseite schon der Eingang zum Schrein. Das nenne ich mal gute Verkehrsanbindung.

Das Sehenswerte an diesem Schrein sind die unzähligen torii, die von Einzelpersonen, Familien oder Unternehmen gespendet worden sind und werden. Der eigentliche Inari-Schrein liegt auf dem Gipfel eines Berges, und die Wege dorthin führen unter den torii hindurch.


Ganz am Beginn des Weges stehen die größten torii. Hier mit mir zum Größenvergleich. Man beachte übrigens die sommerliche Kleidung - es war heiß! Zum Glück kann man unterwegs zum "Gipfel" alle paar hundert Meter Getränke kaufen, denn unsere mitgebrachten Wasserflaschen waren bald leer (bzw. das Wasser zu warm zum trinken).

Nachdem wir eine Weile unter den riesigen torii entlang marschiert waren, gabelte sich der Weg plötzlich.


Nach kurzem Überlegen beschlossen wir, daß es wahrscheinlich egal ist, welchen der beiden Tunnel wir nehmen, und wir hatten recht. Nach einer Weile fanden die Wege wieder zusammen.


Die torii stehen hier so dicht an dicht, daß sie wirklich einen Tunnel bilden, den das Sonnenlicht nur durch schmale Spalten erleuchtet.


Irgendwann sahen wir dann auch kleinere torii, die in Massen an kleineren Schreinen aufgetürmt/aufgehängt/aufgestapelt wurden. Überall an diesen kleinen Schreinen gibt es die obligatorischen Brunnen, an denen man sich die Hände wäscht, bevor man seine Gebete spricht.


Und an einem dieser kleinen Schreine habe ich glatt einen Bekannten getroffen. ;-) Na, wer erkennt ihn?


Der Wald, durch den der Weg führt, steht voller Ahornbäume, die jetzt kräftig grün leuchten. Cari meint, im Herbst, wenn der Ahorn knallrot wird, müsse es besonders schön aussehen. Ich weiß nicht recht. Ich liebe den Ahorn wirklich, aber wenn man dann im Herbst nur noch Rot sieht... Jetzt gibt es immerhin einen schönen Kontrast zwischen dem Grün der Bäume und dem Rot der torii.


Und es ist wirklich schön. Der Weg nach oben dauerte knapp zwei Stunden, runter ging es etwas schneller, und weil wir die ganze Zeit über nur Wasser zu uns genommen hatten, war der Hunger inzwischen gewaltig. Also sind wir, der größeren Auswahl an Essensmöglichkeiten zur Kyōto Station zurückgefahren, wo wir dann zünftig beim Italiener eingekehrt sind. Lecker!

Vorher sind wir aber doch noch einmal durch die Andenkenläden gezogen, um uns in den klimatisierten Räumen etwas abzukühlen. Außerdem suchte Cari noch ein Geburtstagsgeschenk für ihre Großmutter.


Ich habe dann diesen entzückenden kleinen Fuchs gefunden - total kawaii und weich! Da konnte ich nicht widerstehen. Cari auch nicht. Und jetzt behauptet sie, ich sei Schuld daran, daß sie ihn gekauft hat. Cari, did I FORCE you to buy it?! ;-))

Freitag, Mai 19, 2006

Fressen und gefressen werden, Teil 2

Unser Thema: Urlaubsbericht.

"Wie war das Essen in Korea?"
"Ich hatte sehr schön geschmeckt."

Schön, daß Sie es trotzdem zur Deutschstunde geschafft haben.

Montag, Mai 15, 2006

Erschütterungen

Seit über sechs Monaten bin ich schon in Japan, aber ein Erdbeben hatte ich hier noch nicht erlebt. Obwohl ich ja eigentlich mit der Vorstellung hier ankam, hier würde der Boden ständig wackeln. Tut er auch, in meinem Zimmer zum Beispiel, aber das muß an der Waschmaschine eines der Nachbarn liegen. ;-)
Tatsächlich bebt die Erde fast täglich in Japan, meist nur schwach. Das kann man dann im Nachhinein immer hier nachlesen. Praktische Seite, habe ich mal bei Julia gefunden. Wie gesagt, irgendwo bebt es hier immer, nur nicht in Ōsaka.
Bis heute nacht. Da hat hier um 1:48 in der Nacht die Erde gebebt. Sogar ziemlich stark, etwas weiter südlich in Wakayama hat es Stärke 4 erreicht. Aber ratet mal, wer um 1:48 friedlich lesend auf seinem Futon gehockt und nix mitbekommen hat... Erfahren habe ich es erst heute vormittag, als Claudia mir davon erzählte. Die weiß es aber auch nur von ihrem Freund, der in Kōbe wohnt, wo es wohl auch spürbar gewackelt hat. Claudia selbst hat auch nichts gemerkt.
Pam dagegen, die letzte Woche in eine eigene Wohnung im Süden von Ōsaka umgezogen ist, ist von dem Beben sogar wach geworden. Sie war ganz aufgeregt: ihr erstes Erdbeben, seit sie in Japan ist!
Also: mein erstes Erdbeben in Japan. Verpaßt.

Dennoch hat das Leben für mich heute noch eine echte Erschütterung bereitgehalten. Drei weiße Pudel. Das heißt, drei ehemals weiße Pudel. Dem ersten hatte sein Frauchen die untere Hälfte der Schlappohren und den Schwanz rosa gefärbt, dem zweiten hellblau und dem dritten neongelb. Zusätzlich hatte der dritte noch drei schwarze Streifen auf dem Rücken, die auch alles andere als echt aussahen. Dummerweise hatte ich meine Kamera nicht dabei, sonst hätte ich das selbstverständlich noch dokumentiert.
Die armen Hunde.

Sonntag, Mai 14, 2006

Samstag, Mai 13, 2006

Platzprobleme

Bekanntermaßen hat Japan ein Platzproblem. Weil der größte Teil der Inseln gebirgig ist, sind die meisten Städte in den flacheren Küstenregionen angesiedelt. Folglich leben hier auch die meisten Menschen. Die alle irgendwo wohnen müssen, und Geschäfte dürfen selbstverständlich auch nicht fehlen. Wohnungen sind daher meist klein (z.B. die, in der ich wohne), und Häuser auch. Es kommt eben darauf an, den spärlichen Platz möglichst optimal auszunutzen.


Man kann es damit aber auch übertreiben.

Freitag, Mai 12, 2006

Fressen und gefressen werden

Heute mal eine kleine Anekdote von Wiebke.
Aufwärmphase mit einem fortgeschrittenen Schüler. Sehr netter Kerl.

"Was haben Sie heute gemacht?"
"Ich habe meine Schildkröte gegessen."

Tempel-Tour

Erwähnt hatte ich es schon: am Dienstag bin ich mal wieder nach Kyōto gefahren und habe wieder mal Tempel besichtigt. Drei an der Zahl.

Nummer 1: Sanjūsangen-dō, berühmt für die 1001 vergoldeten Statuen des Kannon (der buddhistischen Gottheit der Barmherzigkeit), die in der großen Halle aufgestellt sind. Dieser Tempel war mein Hauptziel am Dienstag, und es war wirklich lohnenswert.


1001 Statuen, selbst wenn man sie dicht an dicht stellt, brauchen eine Menge Platz, und folglich ist die Halle das längste Holzgebäude der Welt. Ohne Weltrekord geht ja kaum was, und nachdem sich in Nara schon das größte und das älteste Holzgebäude der Welt befinden, braucht Kyōto ähnliches, um mithalten zu können. ;-)
Innen darf man leider keine Fotos machen, deshalb müßt Ihr Euch jetzt allein auf mein Wort verlassen: klasse!
Mitten in der Halle steht eine große Statue des Kannon Bodhisattva, und jeweils 500 kleinere, nahezu identisch gestaltete Kannon-Statuen, die sich lediglich in kleinen Details unterscheiden, sind in mehreren Reihen links und rechts aufgestellt. In der ersten Reihe stehen dazu noch Statuen diverser buddhistischer Wächtergottheiten sowie des Donner- und des Windgottes. Beides keine sehr sympathisch aussehenden Gesellen, aber beeindruckende Kunstwerke. Insgesamt eine ehrfurchtgebietende Sammlung. (Aber, unter uns: recht staubig.)

Anschließend wußte ich nicht, was ich als nächstes ansehen sollte, denn ich hatte meinen Reiseführer nicht mitgenommen (die Handtasche war auch so schwer genug), aber in Kyōto ist es nie weit bis zur nächsten Sehenswürdigkeit, und so stand ich nach ca. 100 Metern vor Tempel Nummer 2, dem Chishaku-in.


Die Tempelgebäude sind jetzt nicht sooo spektakulär, aber der dazugehörige kleine Garten ist schon schön. Zumal man den Anblick von einem stilvollen Tatamiraum aus, dessen eine Wand hochgeklappt wurde, im Sitzen bewundern kann.


Als ich damit fertig war, bin ich dann doch noch mal zum Kiyomizu-dera geschlendert. Tempel Nummer 3.


Da bin ich inzwischen ja fast schon Stammgast. Er ist aber auch zu schön. Und nachdem ich mich nach einem kurzen Blick auf das Kassenhäuschen davon überzeugt hatte, daß der Eintrittspreis nach dem Ende der Kirschblütensaison von 2.000 Yen wieder auf Normalmaß (300 Yen) zurückgeschraubt worden war, bin ich wieder hineingegangen.


Erst noch einen kurzen Blick auf die Stadt geworfen ...


... und dann konnte ich mir die spektakulär auf Pfählen am Berghang errichtete Haupthalle bei grünen Bäumen ansehen. Zur Erinnerung: bei meinem ersten Besuch war das Laub zwar schon herbstlich gefärbt, aber wegen schlechten Wetters nicht gut zu erkennen, beim zweiten Besuch bin ich nicht reingegangen und beim dritten Mal war noch alles kahl. Jetzt also alles in Grün.
Was lange währt, wird endlich gut.

Mittwoch, Mai 10, 2006

In eigener Sache

Morgen sind alle Leser meines Blogs aufgefordert, um 15:10 Ortszeit (8:10 MESZ) kräftig die Daumen zu drücken. Da findet meine Mid Contract Observation statt. Nichts, worüber ich mir Sorgen machen müßte, aber natürlich wünsche ich mir eine ruhige, entspannte Stunde mit netten Schülern.
Ehrlich gesagt, interessiert mich an der Sache ja nur eines wirklich: wie meine "Verkaufsquote" aus den Demos aussieht...

Richtigstellung

Vor einiger Zeit hatten George und ich das Glück, bei strömendem Regen einer höchst faszinierenden Zeremonie zusehen zu können. Diese Zeremonie habe ich hier ausführlich dargestellt und dazu geschrieben, daß es sich dabei um irgendwas Shintoistisches handeln würde. Das ist, wie ich gestern abend herausgefunden habe, falsch.
Gestern habe ich wieder einige schöne Tempel in Kyōto besichtigt und in dem ersten eine schöne Broschüre in englischer Sprache erstanden. Auf der letzten Seite werden die wichtigsten Feste dieses Tempels in wenigen Worten dargestellt, und auf einem der beigefügten Fotos habe ich unzweifelhaft die Zeremonie wiedererkannt, die ich in Yoshino gesehen habe. Und zwar handelt es sich dabei um "Saito-goma", in dem buddhistische Gebetshölzer verbrannt werden. Ich zitiere hier jetzt der Einfachheit halber den englischen Text aus der Broschüre.
In "Saito-goma", mountain priests pray for peace as they light a holy fire to burn the prayer sticks upon which worshippers have written their wishes and desires. It is believed that the holy fire represents the cleansing fire of the Buddha's wisdom to purify the worshippers' spirit, bring them good fortune, and ward off evil.

Heute mittag habe ich George das Foto gezeigt, und er war genau so erstaunt wie ich. Na ja, wieder was gelernt. Auch buddhistische Priester ziehen merkwürdige Kostüme mit großen Bömmeln an.
Und ich gebe hiermit zu, gegen eine meiner eigenen Regeln verstoßen zu haben, als da wäre: wenn du von etwas keine Ahnung hast, dann halt einfach die Klappe.
Asche über mein Haupt.

Montag, Mai 08, 2006

Wichtige Fragen im Zug

"Fährt dieser Bahnhof nach Köln?"

Praktisch wär's ja...

Samstag, Mai 06, 2006

Westhonshūs Flora und Fauna

Was gab es in und um Hiroshima nicht alles zu sehen! Schreine, Tempel, O-torii, Denkmäler und Mahnmale. Aber auch in der Natur gab es einiges zu entdecken.

Gegenüber von unserem Hotel wuchsen beispielsweise einige Palmen. Ein paar davon habe ich zwar schon in Ōsaka und Umgebung gesehen, aber die waren nicht so groß.


Ich liebe den japanischen Ahorn! Bislang dachte ich ja, der ist das Jahr über einfach sehr grün und im Herbst dann sehr rot. Aber siehe da, es gibt auch Sorten, die das ganze Jahr über einfach nur rot sind. Diesen Baum habe ich auf Miyajima auf dem Weg von der Seilbahnstation zum Itsukushima-jinja gesehen.


Es ist bekanntlicherweise Frühling (obwohl die gegenwärtigen Temperaturen in Ōsaka mich eher an Sommer erinnern), und überall blüht es. Diese entzückenden Blümchen hier habe ich auf den Ruinen eines Bunkers im Park von Hiroshima-jō entdeckt.


Leider weiß ich nicht, wie sie heißen. Dasselbe gilt für die Blumen auf dem unteren Bild, die ich in Iwakunis japanischem Garten fotografiert habe. Man sieht sie aber ziemlich häufig, auch in Ōsaka. Botaniker vor!


Tiere gab es natürlich auch zu sehen: Schwäne, Schildkröten, Katzen sowie arme Hunde in lächerlichen Verkleidungen. Auf Miyajima laufen auch halbwilde Hirsche herum, wie in Nara.


Und wie in Nara gilt auch auf Miyajima: diese Tiere sind immer hungrig, und wer meint, sein Eis unbedingt in ihrer Reichweite verzehren zu müssen, ist selber schuld.
Andererseits sind die Hirsche auch nicht wirklich lernfähig. Ich habe am Dienstag mindestens zwei gesehen, die eine herumliegende Plastiktüte bzw. ein Infoblatt zu essen versuchten. (Deswegen wird auch überall davor gewarnt, seine Eintrittskarten etc. nicht rumliegen zu lassen.) Man sollte ja meinen, daß so ein Hirsch im Laufe seines Lebens lernt, daß manche Dinge, die die Menschen so herumliegen lassen, einfach nicht eßbar sind, und wenn man zehn Minuten lang darauf herumkaut - aber nein ...


Sogar auf dem Gipfel vom Misen-san waren ein paar Hirsche anzutreffen. Dieses besondere Exemplar hatte sich - angelockt von Erdnüssen, die der Pächter ihm hinwarf - in die Schutzhütte direkt neben der Aussichtsplattform getraut. Dort sollten die menschlichen Besucher eigentlich in Ruhe ihr mitgebrachtes oder dort erworbenes Essen verzehren, ohne von Hirschen oder Affen behelligt zu werden. Oder ohne die Hirsche oder Affen zu stören, je nachdem.
Ja, es gibt auch Affen auf Miyajima - zumindest theoretisch. Praktisch bekamen wir die Affen nur in gemalter Form auf den zahlreichen Schildern mit Verhaltensregelen ("Starrt uns nicht in die Augen! Gebt uns kein Futter! Streichelt uns nicht! Lasst Euren Müll nicht liegen!") zu Gesicht. Weiß der Geier, wo die echten sich herumtrieben. Angelica war ein bißchen enttäuscht, während ich offen gestanden nicht so scharf darauf war, die freilaufenden Affen zu treffen, nachdem mir ihre Vettern in Arashiyama schon einen Handschuh geklaut hatten.

Statt dessen bekamen wir in Iwakuni eine echte Rarität zu Gesicht: Albino-Schlangen!


Die gibt es angeblich nur in einem sehr eng begrenzten Gebiet in Iwakuni. Die ersten weißen Schlangen wurden irgendwann im 18. Jahrhundert beobachtet. In den letzten Jahrzehnten ist ihr Lebensraum immer kleiner geworden, deshalb wurden Aufzuchtstationen eingerichtet, um die Art zu erhalten.
Sie sollen für Menschen angeblich völlig harmlos sein, aber trotzdem war ich froh, eine Glasscheibe zwischen mir und den vier Schlangen in dieser "Viewing facility" zu wissen.

Freitag, Mai 05, 2006

Reisebericht Teil 4: Hiroshima

Und plötzlich war es schon Donnerstag, unser letzter Urlaubstag. Anfang der Woche war für diesen Tag noch Regen vorausgesagt worden, der dann aber komplett am Mittwochnachmittag und -abend niederging. Am Donnerstag schien wieder die Sonne.
Wir hatten nur noch einen letzten Punkt vom Pflichtprogramm unseres Hiroshimabesuchs zu erledigen: das Friedensgedächtnismuseum. Und dafür haben wir uns dann auch ausgiebigst Zeit genommen.

Zunächst haben wir aber noch einen Abstecher zum ehemaligen Hypozentrum der Explosion gemacht. Auf unserem Stadtplan war das in einer kleinen Seitenstraße einen Block hinter der Atombombenkuppel eingezeichnet.


Ich begann schon zu denken, wir hätten doch die falsche Seitentraße erwischt, aber dann sahen wir den Gedenkstein. Wirkt recht unauffällig. Und wenn er nicht wäre, würde alles wie eine stinknormale kleine japanische Großstadtstraße aussehen: graue Apartementhäuser, ein, zwei kleine Geschäfte, ein Parkhaus. Aber - hier war das Hypozentrum des ersten Atombombenangriffs in der Geschichte der Menschheit. Nur sehr schwer vorstellbar.

Dann ging es ins Museum. Zusätzlich zu dem wirklich nur symbolischen Eintrittspreis (50 Yen) haben wir uns einen Audioguide ausgeliehen. Den gibt es nicht nur in Japanisch und Englisch, sondern u.a. auch in Deutsch.

Alles begann gleiche am Eingang mit einem Einführungsfilm: Bilder der zerstörten Stadt, Filmaufnahmen von einem Atombombentest, Bilder von der jährlichen Gedenkveranstaltung in Hiroshima. Im ersten großen Saal sahen wir dann ein Modell der Nakajima-Gegend (wo sich heute der Friedenpark befindet) vor und nach der Explosion, Bilder und Schautafeln zur Geschichte der Stadt bis zum Bombenabwurf, zur Geschichte des Manhattan-Projekts sowie den Weg zur Entscheidung, Hiroshima als erstes Angriffsziel auszuwählen. Auch Japans Militarismus in der Zeit des Zweiten Weltkriegs wurde nicht ausgespart, sondern mit Propagandaplakaten, die zur Abgabe von Metallgegenständen aufforderten, und zahlreichen Fotos anschaulich dokumentiert.


Eine prominente Stelle in diesem Ausstellungsteil nimmt diese kleine Armbanduhr ein. Sie ist im Moment der Explosion stehengeblieben.

Im zweiten Stock ging es dann weiter zum Thema Atomzeitalter und den Friedens- und Abrüstungsbemühungen. Die Darstellung ist insgesamt recht ausgewogen, denn es wird auch daran gemahnt, daß sich auch Japan mit seiner Rolle im Zweiten Weltkrieg (und der Kolonialzeit davor) kritisch auseinandersetzen muß. Daher sind in einer Vitrine Geschichtsbücher aus anderen asiatischen Ländern (China, Südkorea, Malaysia, Thailand, ...) ausgestellt.

Anschließend ging die Ausstellung im Westgebäude des Museums weiter. Das war der schwerste Teil, denn hier werden Gegenstände gezeigt, die Menschen im Moment der Katastrophe bei sich trugen. Eine sehr eindruckvolle und erschütternde Dokumentation dessen, was sich am 6.8.1945 in Hiroshima abgespielt hat. Sogar die zahlreichen japanischen Schulkinder, die zuvor noch lärmend und lachend durch das Museum gestürmt waren, wurden ruhiger.


Am meisten berührt hat mich dieses verrostete Dreirad, dessen Besitzer, ein dreijähriger Junge, im Augenblick der Explosion stolz damit über den elterlichen Hof geradelt ist.
Den Audioguide hatte ich da schon längst abgeschaltet, die Fotos, Ausstellungsstücke (zerrissene Schuluniformen, verkohlte Essensdosen, deformierte schwarze Fingernägel, Hautfetzen, ...) und Erklärungen (in englischer Sprache ausreichend vorhanden) haben mir vollauf gereicht. Habe ich gekniffen? Ja, habe ich.

Die gewaltige Hitzestrahlung hat diese Steinstufen (260 m vom Explosionszentrum entfernt) gebleicht. Lediglich der Bereich, wo ein Mensch gesessen hatte, war im Schatten und blieb somit dunkel.


Es sieht so harmlos aus, aber es ist das gruseligste, was ich jemals gesehen habe.

Sadakos Origamikraniche durften in der Ausstellung natürlich nicht fehlen.


Verwirrt haben mich allerdings die Erklärungen dazu: im Internet und in einem kleinen Heft, das ich zu dem Thema am Bücherstand des Museums erstanden habe, steht, daß Sadako nur ca. 640 Kraniche hat falten können, bevor sie starb, und daß ihre Schulfreunde die fehlenden 360 falteten und alle 1.000 mit in ihr Grab legten. In der Ausstellung dagegen sind einige ihrer Kraniche ausgestellt, und da heißt es auch, sie habe die 1.000 Kraniche geschafft, danach aber nicht aufgehört und so insgesamt über 1.300 Kraniche gefaltet, jeder einzelne eine Bitte um Heilung. Was stimmt nun?

Nach über zwei Stunden hatten wir das Museum wieder verlassen und saßen in der Sonne, um die Eindrücke erst einmal zu verarbeiten. Wir kamen nicht weit, denn binnen kürzester Zeit waren wir von japanischen Schulkindern umringt, die zu ihrem Wandertag mit den obligatorischen Arbeitsheften ausgestattet worden waren. Wie mir bereits aus Nara bekannt ist, lautet eine der Aufgaben: Komm mit ausländischen Touristen ins Gespräch und bitte sie um ein Autogramm.
Angelica und ich haben an diesem Nachmittag jede mit Sicherheit weit über 50 Autogramme gegeben. Das heißt auch: über fünfzigmal der immer gleiche Kurzdialog.
"My name is ... What's your name?"
"My name is Ute."
"Where are you from?"
"I'm from Germany."
"Please sign here."


Nett sind die Kinder ja, das gebe ich gerne zu. Doch wird es irgendwann anstrengend.
Aber: ein Junge hat die ML ("main language") im Gespräch mit mir tatsächlich eigenständig variiert:
"Where are you from?"
"I'm from Germany."
"Germany?"
"Yes. Doitsu."
Kurzes, aber intensives Nachdenken. "Why do you speak English?!"
Tatsächlich. Warum eigentlich?

Als wir es endlich geschafft hatten, uns loszueisen, sind wir noch kurz in die Nationale Friedensgedächtnishalle für die Atombombenopfer gegangen. Hier werden alle Toten (soweit bekannt) namentlich und mit Foto genannt, und jedes Jahr am Jahrestag wird die Liste um die im vergangenen Jahr an den Spätfolgen gestorbenen Opfer ergänzt. Sehr bewegend waren einige der Überlebenenberichte, die auch in englischer Sprache in der Bibliothek zum Lesen auslagen.

Danach hatten wir wirklich alles gesehen, was wir sehen wollten, und noch massenhaft Zeit. Angelica schlug daher vor, eine Bootsfahrt auf dem Fluß mitzumachen, und uns den Friedenspark und die Stadt aus einer anderen Perspektive anzusehen. Wir zogen zum Anleger, um festzustellen, daß wir die Abfahrt knapp verpaßt hatten und die nächste (und letzte) Fahrt erst in 50 Minuten stattfinden würde. Also setzten wir uns so lange auf einen Kaffee in das benachbarte Straßencafé, ließen uns von der Sonne bescheinen und konnten - diesmal unbehelligt von Autogrammwünschen - den bisherigen Tag in aller Ruhe Revue passieren lassen. Und den Rest des Urlaubs natürlich auch.

Schließlich wuchteten wir unsere müden Knochen aus den Stühlen, kauften die Fahrkarten und nahmen auf den besten Plätzen auf dem Oberdeck des kleinen Schiffes Platz. Wir sollten die einzigen Passagiere bleiben und fühlten uns daher während der ganzen Fahrt einerseits etwas unbehaglich (für die Betreiber war das nicht das beste Geschäft), andererseits aber auch wie zwei Königinnen.


Die von mir schon vielfach fotografierte Atombombenkuppel sahen wir aus einer ganz neuen Perspektive.


Zweimal ging es unter der T-förmigen Aioi-Brücke hindurch, die den amerikanischen Bomberpiloten als Markierungspunkt für den Abwurf diente.


Wir bewunderten die moderne Skyline von Hiroshima, ließen uns den frischen Wind um die Nase wehen, ...


... und warfen einen letzten Blick auf die gebirgigen Inselchen der Seto-Inlandsee. Zumindest denke ich, daß das da im Hintergrund schon Inseln sind, denn laut Stadtplan gibt es in dieser Richtung bis zum Hafen keine Berge mehr.

Nach der 40-minütigen Fahrt suchten und fanden wir ein nettes kleines Restaurant in der Innenstadt, wo wir uns mit chinesischem Wantan für die Rückfahrt nach Osaka stärkten, schlenderten dann zum Hotel zurück, um unsere Koffer zu holen, die wir dort kostenlos hatten abstellen können, und dann ging es zum Bahnhof. Viel zu schnell brachte uns der Shinkansen nach Osaka zurück.

Es war ein schöner Urlaub. Kurz, aber schön, mit vielen neuen Eindrücken, schönen (Miyajima) und erschütternden (Friedensgedächtnismuseum).

Caris Bericht über ihren Besuch in Hiroshima während der Neujahrsferien hat mir damals schon sehr gut gefallen. Nachzulesen hier.

Mittwoch, Mai 03, 2006

Reisebericht Teil 3: Iwakuni

Am vergangenen Mittwoch ging es dann nach Iwakuni, einer kleinen Stadt 40 km westlich von Hiroshima an der Küste gelegen. Dort gibt es eine amerikanische Militärbasis, eine wiederaufgebaute Burg, einen schönen Park und eine bemerkenswerte Brücke. Und bis auf die Militärbasis haben wir uns auch alles brav angesehen.

Mit dem Zug (JR Line) ging es von Hiroshima Station aus gemütlich - da wir einen Regionalzug erwischt hatten, der an jeder Milchkanne hielt - nach Iwakuni. Dort fanden wir nach einigem Suchen und Verlorenaussehen schließlich dank freundlicher Hilfestellung ortskundiger Japaner den Fahrkartenschalter für den Bus zur Brücke und dann auch den richtigen Bus. Dieser spuckte uns nach einer weiteren Viertelstunde direkt vor der Brücke aus.


Das ist sie. Kintai-kyō, erstmals erbaut 1673, von der Flut weggespült in der Regenzeit des Jahres 1674, wiederaufgebaut ohne Nägel, nur mit Klammern und Drähten (sagen mein Reiseführer und mein altes Englischwörterbuch), dann 1950 vom Taifun Kijiya weggeschwemmt, 1953 rekonstruiert. Die Brücke gehört zu den drei schönsten in Japan, und schön ist sie wirklich.

Auf der anderen Seite des Flußufers befindet sich der Kikko-kōen, ein Landschaftspark, der auf dem Anwesen der in Iwakuni herrschenden Kikkawa-Familie errichtet wurde.


Recht hübsch, mit Wasserspielen, vielen Blumen und Bäumen, Rasenflächen, kleinen Tempeln, Schreinen und Pavillons. Das Wetter war zwar nicht so schön, es war praktisch die ganze Zeit bedeckt und nur mittags brachen ein paar wärmende Sonnenstrahlen durch die Wolken, aber man kann nicht alles haben.


Besonders gefallen hat mir der kleine "Japanische Garten" mit seinen winzigen, künstlichen Wasserfällen. Und vereinzelt blühten sogar noch ein paar Kirschbäume.

Zum Mittagessen stärkten wir uns an einem Stand mit kleinen Leckereien, und dann ging es mit der Seilbahn den Berg hoch zur Burg von Iwakuni. Die haben wir uns allerdings nur von außen angesehen, denn dabei handelt es sich - wieder einmal - um eine Rekonstruktion, und die Waffensammlung hat uns auch nicht interessiert.


Von außen sieht die Burg ja wirklich nett aus, kann man nicht anders sagen. Nun ist das mit dieser Burg allerdings auch so eine Sache. Das Original hat ganze sieben Jahre existiert, dann mußte es 1615 auf Geheiß der Tokugawa-Regierung abgerissen werden, da in jeder Provinz nur eine einzige Burg stehen sollte. In Hagi gab es schon eine Burg, die älter und wohl auch wichtiger war, damit war das Schicksal von Iwakuni-jō besiegelt. Bis die Einwohner der Stadt beschlossen, daß die Brücke und der Park alleine als Touristenattraktion nicht ausreichend sind und 1960 die Rekonstruktion errichtet wurde. Nun ja. Macht sich jedenfalls auf dem Berg ganz gut.


Und die Aussicht von oben ist toll. Bei schönem Wetter kann man von dort bis zu den Inseln der Seto-Inlandsee sehen. Aber auch so war es ein imposanter Anblick: die Flußbiegungen bis zur Mündung, die Stadt, die Brücke und die Berge ringsum.


Am Nachmittag begann es dann zu regnen, so daß wir nur noch kurz durch den Park zurück zur Bushaltestelle gelaufen sind. Um die zweite Brückenmaut zu sparen, sind wir über die moderne Brücke in der Nähe der Kintai-kyō gegangen.


Mit dem angenehmen Nebeneffekt eines großartigen Ausblicks auf die berühmte Brücke und das merkwürdig grün-blaue Wasser.

Zurück in Hiroshima sind wir kurz ins Hotel gegangen und haben unsere Reiseführer nach Empfehlungen zum Okonomiyaki-Essen konsultiert. Die Entscheidung fiel auf Okonomi-mura, wo es mehrere Okonomiyaki-Restaurants nebeneinander gibt und wir einfach in das erstbeste reinmarschiert sind. Dort saßen wir zusammen mit den anderen Gästen um die riesige Herdplatte herum und sahen zu, wie ein Okonomiyaki nach dem anderen gebraten wurde. Und lecker war's!
Ich hatte ja schon erwähnt, daß das Okonomiyaki in Hiroshima anders zubereitet wird als in Osaka, und einige Leute (aus Hiroshima) hatten uns in den vergangengen Tagen schon beteuert, daß "ihr" Okonomiyaki viel, viel besser sei als das aus Osaka. Wir sind aber durch das Okonomiyaki aus Osaka schon so verdorben, daß wir die "heimische" Variante dennoch vorziehen. Was wir natürlich nie jemandem aus Hiroshima sagen würden.
Worin besteht nun der Unterschied? In Osaka werden alle Zutaten gründlich vermischt und dann auf der heißen Platte gebraten, bis alles gar ist und die leckere Soße darübergestrichen werden kann. In Hiroshima kommen die Zutaten nacheinander auf die Platte. Das Ei beispielsweise wird nicht mit dem kleingeschnibbelten Kohl verrührt, sondern gegen Ende als (sehr dünnes) Spiegelei gebraten und dann zum Abschluß auf das Okonomiyaki gelegt. Außerdem kommen noch Nudeln dazu. Sehr sättigend, natürlich.
Einen Vorteil gegenüber dem Okonomiyaki aus Osaka hat die Variante aus Hiroshima aber doch: es passiert eigentlich dauerd irgendwas. Da wird gewendet, plattgedrückt, Nudeln auf die Herdplatte gekippt und angebraten, schließlich auf den Okonomiyaki befördert, Eier auf der Platte aufgeschlagen und rundgestrichen - man ist so mit dem Zuschauen beschäftigt, daß man das Knurren des Magens schnell vergessen hat.

Ein kleines Erfolgserlebnis hatte ich auch. Neben mir saß ein älteres Ehepaar, und als ich gerade dabei war, die letzten Nudelreste auf meinem Teller zusammenzusuchen, sprach mich die Frau an und machte mir ein Kompliment für den Umgang mit den Stäbchen. Hat sich das sechsmonatige Training doch bezahlt gemacht.
*stolzgeschwellte Brust*

Fazit des Tages: ein netter Ausflug, viel neues gesehen - aber gegen Miyajima hat Iwakuni schlicht keine Chance.