Freitag, Mai 05, 2006

Reisebericht Teil 4: Hiroshima

Und plötzlich war es schon Donnerstag, unser letzter Urlaubstag. Anfang der Woche war für diesen Tag noch Regen vorausgesagt worden, der dann aber komplett am Mittwochnachmittag und -abend niederging. Am Donnerstag schien wieder die Sonne.
Wir hatten nur noch einen letzten Punkt vom Pflichtprogramm unseres Hiroshimabesuchs zu erledigen: das Friedensgedächtnismuseum. Und dafür haben wir uns dann auch ausgiebigst Zeit genommen.

Zunächst haben wir aber noch einen Abstecher zum ehemaligen Hypozentrum der Explosion gemacht. Auf unserem Stadtplan war das in einer kleinen Seitenstraße einen Block hinter der Atombombenkuppel eingezeichnet.


Ich begann schon zu denken, wir hätten doch die falsche Seitentraße erwischt, aber dann sahen wir den Gedenkstein. Wirkt recht unauffällig. Und wenn er nicht wäre, würde alles wie eine stinknormale kleine japanische Großstadtstraße aussehen: graue Apartementhäuser, ein, zwei kleine Geschäfte, ein Parkhaus. Aber - hier war das Hypozentrum des ersten Atombombenangriffs in der Geschichte der Menschheit. Nur sehr schwer vorstellbar.

Dann ging es ins Museum. Zusätzlich zu dem wirklich nur symbolischen Eintrittspreis (50 Yen) haben wir uns einen Audioguide ausgeliehen. Den gibt es nicht nur in Japanisch und Englisch, sondern u.a. auch in Deutsch.

Alles begann gleiche am Eingang mit einem Einführungsfilm: Bilder der zerstörten Stadt, Filmaufnahmen von einem Atombombentest, Bilder von der jährlichen Gedenkveranstaltung in Hiroshima. Im ersten großen Saal sahen wir dann ein Modell der Nakajima-Gegend (wo sich heute der Friedenpark befindet) vor und nach der Explosion, Bilder und Schautafeln zur Geschichte der Stadt bis zum Bombenabwurf, zur Geschichte des Manhattan-Projekts sowie den Weg zur Entscheidung, Hiroshima als erstes Angriffsziel auszuwählen. Auch Japans Militarismus in der Zeit des Zweiten Weltkriegs wurde nicht ausgespart, sondern mit Propagandaplakaten, die zur Abgabe von Metallgegenständen aufforderten, und zahlreichen Fotos anschaulich dokumentiert.


Eine prominente Stelle in diesem Ausstellungsteil nimmt diese kleine Armbanduhr ein. Sie ist im Moment der Explosion stehengeblieben.

Im zweiten Stock ging es dann weiter zum Thema Atomzeitalter und den Friedens- und Abrüstungsbemühungen. Die Darstellung ist insgesamt recht ausgewogen, denn es wird auch daran gemahnt, daß sich auch Japan mit seiner Rolle im Zweiten Weltkrieg (und der Kolonialzeit davor) kritisch auseinandersetzen muß. Daher sind in einer Vitrine Geschichtsbücher aus anderen asiatischen Ländern (China, Südkorea, Malaysia, Thailand, ...) ausgestellt.

Anschließend ging die Ausstellung im Westgebäude des Museums weiter. Das war der schwerste Teil, denn hier werden Gegenstände gezeigt, die Menschen im Moment der Katastrophe bei sich trugen. Eine sehr eindruckvolle und erschütternde Dokumentation dessen, was sich am 6.8.1945 in Hiroshima abgespielt hat. Sogar die zahlreichen japanischen Schulkinder, die zuvor noch lärmend und lachend durch das Museum gestürmt waren, wurden ruhiger.


Am meisten berührt hat mich dieses verrostete Dreirad, dessen Besitzer, ein dreijähriger Junge, im Augenblick der Explosion stolz damit über den elterlichen Hof geradelt ist.
Den Audioguide hatte ich da schon längst abgeschaltet, die Fotos, Ausstellungsstücke (zerrissene Schuluniformen, verkohlte Essensdosen, deformierte schwarze Fingernägel, Hautfetzen, ...) und Erklärungen (in englischer Sprache ausreichend vorhanden) haben mir vollauf gereicht. Habe ich gekniffen? Ja, habe ich.

Die gewaltige Hitzestrahlung hat diese Steinstufen (260 m vom Explosionszentrum entfernt) gebleicht. Lediglich der Bereich, wo ein Mensch gesessen hatte, war im Schatten und blieb somit dunkel.


Es sieht so harmlos aus, aber es ist das gruseligste, was ich jemals gesehen habe.

Sadakos Origamikraniche durften in der Ausstellung natürlich nicht fehlen.


Verwirrt haben mich allerdings die Erklärungen dazu: im Internet und in einem kleinen Heft, das ich zu dem Thema am Bücherstand des Museums erstanden habe, steht, daß Sadako nur ca. 640 Kraniche hat falten können, bevor sie starb, und daß ihre Schulfreunde die fehlenden 360 falteten und alle 1.000 mit in ihr Grab legten. In der Ausstellung dagegen sind einige ihrer Kraniche ausgestellt, und da heißt es auch, sie habe die 1.000 Kraniche geschafft, danach aber nicht aufgehört und so insgesamt über 1.300 Kraniche gefaltet, jeder einzelne eine Bitte um Heilung. Was stimmt nun?

Nach über zwei Stunden hatten wir das Museum wieder verlassen und saßen in der Sonne, um die Eindrücke erst einmal zu verarbeiten. Wir kamen nicht weit, denn binnen kürzester Zeit waren wir von japanischen Schulkindern umringt, die zu ihrem Wandertag mit den obligatorischen Arbeitsheften ausgestattet worden waren. Wie mir bereits aus Nara bekannt ist, lautet eine der Aufgaben: Komm mit ausländischen Touristen ins Gespräch und bitte sie um ein Autogramm.
Angelica und ich haben an diesem Nachmittag jede mit Sicherheit weit über 50 Autogramme gegeben. Das heißt auch: über fünfzigmal der immer gleiche Kurzdialog.
"My name is ... What's your name?"
"My name is Ute."
"Where are you from?"
"I'm from Germany."
"Please sign here."


Nett sind die Kinder ja, das gebe ich gerne zu. Doch wird es irgendwann anstrengend.
Aber: ein Junge hat die ML ("main language") im Gespräch mit mir tatsächlich eigenständig variiert:
"Where are you from?"
"I'm from Germany."
"Germany?"
"Yes. Doitsu."
Kurzes, aber intensives Nachdenken. "Why do you speak English?!"
Tatsächlich. Warum eigentlich?

Als wir es endlich geschafft hatten, uns loszueisen, sind wir noch kurz in die Nationale Friedensgedächtnishalle für die Atombombenopfer gegangen. Hier werden alle Toten (soweit bekannt) namentlich und mit Foto genannt, und jedes Jahr am Jahrestag wird die Liste um die im vergangenen Jahr an den Spätfolgen gestorbenen Opfer ergänzt. Sehr bewegend waren einige der Überlebenenberichte, die auch in englischer Sprache in der Bibliothek zum Lesen auslagen.

Danach hatten wir wirklich alles gesehen, was wir sehen wollten, und noch massenhaft Zeit. Angelica schlug daher vor, eine Bootsfahrt auf dem Fluß mitzumachen, und uns den Friedenspark und die Stadt aus einer anderen Perspektive anzusehen. Wir zogen zum Anleger, um festzustellen, daß wir die Abfahrt knapp verpaßt hatten und die nächste (und letzte) Fahrt erst in 50 Minuten stattfinden würde. Also setzten wir uns so lange auf einen Kaffee in das benachbarte Straßencafé, ließen uns von der Sonne bescheinen und konnten - diesmal unbehelligt von Autogrammwünschen - den bisherigen Tag in aller Ruhe Revue passieren lassen. Und den Rest des Urlaubs natürlich auch.

Schließlich wuchteten wir unsere müden Knochen aus den Stühlen, kauften die Fahrkarten und nahmen auf den besten Plätzen auf dem Oberdeck des kleinen Schiffes Platz. Wir sollten die einzigen Passagiere bleiben und fühlten uns daher während der ganzen Fahrt einerseits etwas unbehaglich (für die Betreiber war das nicht das beste Geschäft), andererseits aber auch wie zwei Königinnen.


Die von mir schon vielfach fotografierte Atombombenkuppel sahen wir aus einer ganz neuen Perspektive.


Zweimal ging es unter der T-förmigen Aioi-Brücke hindurch, die den amerikanischen Bomberpiloten als Markierungspunkt für den Abwurf diente.


Wir bewunderten die moderne Skyline von Hiroshima, ließen uns den frischen Wind um die Nase wehen, ...


... und warfen einen letzten Blick auf die gebirgigen Inselchen der Seto-Inlandsee. Zumindest denke ich, daß das da im Hintergrund schon Inseln sind, denn laut Stadtplan gibt es in dieser Richtung bis zum Hafen keine Berge mehr.

Nach der 40-minütigen Fahrt suchten und fanden wir ein nettes kleines Restaurant in der Innenstadt, wo wir uns mit chinesischem Wantan für die Rückfahrt nach Osaka stärkten, schlenderten dann zum Hotel zurück, um unsere Koffer zu holen, die wir dort kostenlos hatten abstellen können, und dann ging es zum Bahnhof. Viel zu schnell brachte uns der Shinkansen nach Osaka zurück.

Es war ein schöner Urlaub. Kurz, aber schön, mit vielen neuen Eindrücken, schönen (Miyajima) und erschütternden (Friedensgedächtnismuseum).

Caris Bericht über ihren Besuch in Hiroshima während der Neujahrsferien hat mir damals schon sehr gut gefallen. Nachzulesen hier.

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