Samstag, September 23, 2006

Münzwurf

Wie schon erwähnt, war letzten Montag Feiertag, ich hatte frei, Ellie hatte frei - Grund genug, etwas gemeinsam zu unternehmen. Ted wollte ursprünglich auch mitkommen, aber ihm ist dann ein kurzfristiger Shift Swap dazwischengekommen. Da letztes Wochenende wieder ein Taifun über Japan hinwegzog, von dem wir nicht wußten, ob und wie stark er Kansai treffen würde, hatten wir folgende Aktivitäten in die engere Auswahl gefaßt: bei starkem Regen eine Ausstellung mit Kunstwerken aus Angkor Wat, bei wenig bis null Regen entweder Uji oder den Kaiserpalast in Kyōto. Nun war der Taifun aber wieder an Kansai vorbeigezogen, es regnete nicht, und dann stellte ich noch bei einem kurzen Blick in den Veranstaltungskalender fest, daß die Ausstellung nur bis zum 11. September lief. Somit hatte sich das schon von vornherein erledigt.

Blieben Uji und der Kaiserpalast. Beides hatten wir noch nicht gesehen, beides war interessant, und die Entscheidung fiel uns schwer. Da standen wir nun um kurz nach zehn vor dem großen Fernsehbildschirm in Umeda Station, und wußten nicht, wohin. Die rettende Idee: da Ujis Hauptattraktion, der Byōdō-in, auf der Rückseite der 10-Yen-Münze abgebildet ist, haben wir einfach eine Münze geworfen. Diese zeigte Zahl, und damit stand fest: wir sehen uns den Kaiserpalast in Kyōto an.

Umeda Station ist ein einziger Alptraum, aber wenigstens kann von dort aus so ziemlich überall hinfahren, weil sich dort mehrere U-Bahn- und Zuglinien treffen. Das ist allerdings auch der Grund dafür, daß Umeda ein Alptraum ist.

Jedenfalls sind wir von Umeda aus mit der privaten Hankyu Line nach Kyōto gefahren, weil es von dort nicht so weit bis zum Kaiserpalast ist. Als wir aus dem Zug gestiegen waren und den richtigen Ausgang suchten, gab es auch gleich was zu lachen. Mir wäre als Nichtmuttersprachlerin wäre es natürlich nicht von allein aufgefallen, aber hier gibt es ein im Englischen nicht existierendes Wort. Ellie hat sich königlich amüsiert.*


Nach einem 15-minütigen Fußmarsch waren wir an den kaiserlichen Gärten angelangt und dann auch bald am Gebäude des kaiserlichen Haushofamtes, wo man sich für eine der zwei Touren am Tag anmelden muß, wenn man sich den Palast auch mal von innen ansehen möchte. Was wir natürlich wollten, denn von außen gibt es da nicht so wahnsinnig viel zu sehen.


Im kaiserlichen Haushofamt schätzt man Besuchermassen nicht sonderlich, und deshalb hat es sich einen Trick einfallen lassen: an Wochenenden und Feiertagen ist es geschlossen. Davon stand dummerweise nichts in meinem Reiseführer, und so standen wir mit dummen Gesichtern vor verschlossenen Türen.

Was haben wir gemacht? Wir sind zur nächsten U-Bahnstation gegangen, sind bis Kyōto Station gefahren und von dort mit JR nach Uji.

Uji liegt in der Nähe von Kyoto ganz malerisch am Uji-gawa. In der Heian-Zeit bauten sich viele Adelige hier prächtige Villen und nutzten den Ort als Sommerfrische. In einem der beiden ältesten japanischen Romane, Genji Monogatari von Murasaki Shikibu, spielen Teile der Handlung in Uji. Am Ufer des Uji-gawa steht deshalb ein Denkmal der Autorin (besser gesagt: ich denke mal, daß es ihr Denkmal ist).


Von dort sind es dann nur noch ein paar Schritte, und man ist beim Byōdō-in angelangt. Ursprünglich war er eine Villa, die einem Mitglied des mächtigen Fujiwara-Clans gehörte (Murasaki Shikibu stammte übrigens wohl auch aus dieser Familie). Dessen Sohn wandelte die Villa dann in einen buddhistischen Tempel um. Im Lauf dieser Jahrhunderte brannten Teile des Tempels ab, so daß heute im Grunde genommen nur noch die Phönixhalle und ein weiteres Gebäude erhalten geblieben sind.


Das hier ist die Phönixhalle - ein wunderschönes, elegantes Gebäude, das überraschend klein ist. Ich hatte eigentlich etwas größeres erwartet. Sie beherbergt eine große Buddhastatue. Wir sind nicht in die Halle selbst gegangen, denn das Museum mit seinen Kunstschätzen war viel interessanter. U.a. sind dort die Holzskultpturen von 52 buddhistischen Gottheiten zu sehen. Wenn ich meinen Reiseführer und die Broschüre vom Byōdō-in richtig interpretiere, sind im Museum die Originale ausgestellt, und in der Phönixhalle befinden sich "nur" Kopien. Jede Skulptur sieht anders aus und stellt für sich genommen schon ein bedeutendes Kunstwerk dar. Wir waren sehr beeindruckt - aber gleichzeitig haben wir auch bedauert, nicht mehr (bzw. überhaupt etwas) über buddhistische Kunst zu wissen.

Nachdem wir die Besichtigung des Tempels abgeschlossen hatten, sind wir noch kurz zum Fluß gegangen. Wirklich eine schöne Gegend, hat mir sehr gut gefallen.


Aber ich mußte bei einem Blick auf diesen einsamen Angler feststellen (am Ufer waren allerdings noch ein paar mehr), daß ich einen meiner Schüler wohl einmal etwas voreilig verbessert hatte:

"Was ist Ihr Hobby?"
"Mein Hobby ist Angeln. Jedes Wochenende gehe ich ins Meer oder in den Fluß."

Das macht der möglicherweise tatsächlich ...
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* Nachtrag, 29.9.: Das stimmt so nicht, alle Wörter auf dem Schild sind korrektes Englisch. Da hatte meine Begleitung wohl einen kleinen Aussetzer.

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich denke "Commuter", oben rechts, ist damit gemeint.

Ute hat gesagt…

Nein, "issuance" ist es. Zumindest sagt Ellie, daß es das nicht gibt. Und sie müßte es eigentlich wissen, denn sie ist Amerikanerin.

"Commuter" heißt "Pendler".

Anonym hat gesagt…

"Issuance" gibt es und bedeutet "Ausgabe". Vielleicht gibt es das Wort nur im UK-Englischen.

Ute hat gesagt…

Möglich. Ich werde hier mal rumfragen. Gibt ja genug Muttersprachler hier.