Freitag, Dezember 01, 2006

Jetzt aber: Herbst in Kyōto

Anfang November begann sich das Laub hier in Kansai gerade man rot zu färben, aber jetzt leuchten die Ahorne mit den Ginkgos um die Wette. Die anderen Baumarten geben auch ihr bestes, sind aber irgendwie chancenlos bei all dem Rot und Gelb. Vor allem dem Rot der Ahorne. Da habe ich mich ja letztes Jahr schon drin verliebt, und das war - neben der Extrazeit für Reisen innerhalb Japans - der wichtigste Grund für mich gewesen, ein bißchen länger als ein Jahr in Japan zu bleiben. Der Herbst ist die schönste Jahreszeit hier (nicht so verregnet wie die Kirschblüte), und das wollte ich unbedingt noch einmal sehen. Wer weiß, wann (und ob!) ich das nächste Mal die Gelegenheit dazu habe.

Gestern bin ich also wieder (und zum vorerst letzten Mal) nach Kyōto gefahren, um im Ostteil der Stadt so richtig viele Ahorne im Herbstkleid zu sehen. Das habe ich auch getan und nebenbei in gut fünf Stunden genau sechs Tempel besichtigt. Das dürfte mein persönlicher Rekord sein.

Mit der Keihan Line ging es bis zur vorletzten Station (Marutamachi) und von dort zu Fuß zu zwei benachbarten Tempeln. Elisa hatte letztes Jahr in irgendeinem Tempel in der Gegend wunderschöne Fotos gemacht, auf denen wirklich sehr viel Rot zu sehen gewesen war. Ob ich auch tatsächlich in "dem" Tempel gelandet bin, weiß ich nicht, aber ich habe auch sehr viele Fotos, auf denen sehr viel Rot zu sehen ist. War gar nicht so einfach, da einen repräsentative Auswahl für den Blog zu treffen.

Tempel Nummer 1: Kurodani.


Er hat einen schönen Zen-Garten mit einem größeren Teich, über den sich einige Ahornbäume neigen. Das gibt schöne Spiegeleffekte im Wasser, und dazu kommen noch die zahlreichen abgefallenen kleinen Ahornblätter, die auf dem Wasser treiben - sugoi!


Hier war nicht gerade viel los, aber das schob ich auf den Wochentag. An den Wochenenden gehen wesentlich mehr Menschen auf Herbstlaubschau. Aber schon im nächsten Tempel herrschte Hochbetrieb.


Der Kurodani liegt mitten in einem ruhigen, beschaulichen Wohngebiet mit niedrigen Häuschen und engen Gäßchen. Hier mußte ich entlang, um zu meinem nächsten Ziel zu kommen. Ehrlich gesagt, ich hatte schon so meine Zweifel, ob ich auch wirklich auf dem richtigen Weg war, und daher fragte ich die paar Leute, die ich unterwegs traf. Aber ich hatte mich nicht verlaufen, und nach zehn Minuten verbreiterte sich das Gäßchen plötzlich, und ich war da.

Tempel Nummer 2: Shinnyō-dō.


Der Shinnyō-dō ist von vielen, wirklich vielen Ahornbäumen umgeben. Überall leuchtete es orange bis rot. Viel Laub war schon abgefallen und bildete rote, orangefarbene oder gelbe Teppiche um die Stämme der Bäume herum. Das war soooo schön! Den hier in viel größerer Zahl herumlaufenden Japanern ging es ähnlich. Als ich auf die erste Gruppe Ahornbäume zu ging, folgte mir ein junges Pärchen auf den Fersen. Die junge Frau kriegte sich gar nicht mehr wieder ein: "Eeeeeeh, kirei! Kirei desu nee! Eeeeeeh! Sugoi kirei! Sugoi kirei! Sugoi kirei!"*


Alle waren wie wild am Fotografieren. Ich auch, das gebe ich gerne zu. Jeder Baum war schon allein für sich genommen eine Pracht, aber als Ensemble war der Anblick schlicht überwältigend. Vor allem dann natürlich, wenn man sonst nur die vorherrschenden Farben der japanischen Städte - hellgrau, grau und dunkelgrau - zu sehen bekommt. Ich mußte nur einen Schritt weitergehen, schon änderte sich der Blickwinkel und eröffnete ganz neue Fotomotive. Dann brach auch noch die Sonne durch die Wolken und strahlte die Ahorne an ...

Es lebe die 1-Gigabyte-Speicherkarte! Und der Ersatzakku!


Hier ließ es sich eine ganze Weile aushalten. Das Tempelinnere und den Garten habe ich mir natürlich auch nicht entgehen lassen, aber danach hielt ich mich hier nicht mehr lange auf. Durch eine Allee aus leuchtend roten Ahornen ging es wieder zum Ausgang, und dann wieder weiter nach Osten. Mein nächstes Ziel war der Pfad des Philosophen, der vom Ginkaku-ji bis zum Nanzen-ji an einem kleinen Kanal und weiteren Tempeln entlang führt. Den Ginkaku-ji hatte ich schon mal gesehen, daher ließ ich ihn aus und begab mich daher sofort zum kleineren Hōnen-in.

Tempel Nummer 3.


Nett, und vor allem auch relativ ruhig. Auch hier gab es Herbstlaub zu sehen, wenn auch nicht in solchen Massen wie am Shinnyō-dō. Dafür waren direkt am Eingang zwei kunstvolle Sandgebilde mit Ahornblattdeko aufgeschichtet worden. Davon abgesehen, gab es hier nichts wirklich besonderes zu sehen, und so machte ich mich bald wieder auf den Weg. Aber nur ein paar Schritte, denn der nächste Tempel war nicht weit.

Nummer 4. Anraku-in oder so ähnlich. Peinlich, ich habe den Namen vergessen, und da ich das gesamte Infomaterial heute mittag zur Post geschleppt habe, kann ich ihn auch nicht mehr nachschlagen. Mist!


Jedenfalls war es nicht weit, und übersehen konnte ich den Eingang wegen der zahlreichen Fotografen, die mit schwerem Gerät angerückt waren, auch nicht.


Und wieder leuchtete der Ahorn. Ein wunderschöner Tempel, in dem ich prompt noch ein Geschenk bekommen habe. Ich werde später berichten.


Und weiter ging's den Pfad des Philosphen entlang. Der heißt so, weil ein berühmter japanischer Philosoph mit Namen Nishida Kitarō seinen täglichen Spaziergang an dem kleinen Kanal entlang getätigt hat. Der Pfad ist besonders schön zur Kirschblütenzeit, jetzt war alles schon kahl. Nur vereinzelt sorgten ein paar Ahornbäume für kräftige Farbtupfer.

Fast am Ende des zwei Kilometer langen Pfads befindet sich der Eikan-dō. Tempel Nummer 5.


Er besitzt zahlreiche Kunstschätze - und viele Ahornbäume auf seinem Gelände. Das macht ihn zu einer sehr beliebten Pilgerstätte für Herbstlaubfans. Was wiederum den Tempel dazu veranlaßt, im November einen kräftigen Aufschlag auf den Eintritt zu verlangen. Trotzdem strömten die Massen, und ich mitten drin.


Im Tempelinneren ging es nur langsam vorwärts. In langen Schlangen zogen die Menschen vor den zur Schau gestellten prächtigen Buddhastatuen und kostbaren Wandbemalungen vorbei. Ich gebe zu, daß ich des öfteren den Weg einfach abgekürzt habe. Von buddhistischer Kunst verstehe ich nun mal nichts, und ich war ja hauptsächlich wegen des Herbstlaubs gekommen. Ja, ich bin eine hoffnungslose Ignorantin.


Das Tempelgelände ist riesig. Direkt dahinter erheben sich die Berge von Higashiyama, die den Ostteil der Stadt Kyōto begrenzen. In einer Ecke im hinteren Teil des Tempelgeländes steht eine kleine Pagode, von der aus ich fast ganz Kyōto überblicken konnte. Und natürlich den Rest des Tempelgeländes.

Soll ich oder soll ich nicht? Eine Weile kämpfte ich mit mir, aber dann bin ich doch noch in einen weiteren Tempel gegangen.

Tempel Nummer 6: Nanzen-ji.

Einer der wichtigsten Zen-Tempel Japans, den ich vor fast einem Jahr schon einmal mit Angelica zusammen besichtigt hatte. Weil wir uns damals aber lediglich in den Garten eines Nebentempels (oder was auch immer) gegangen waren, habe ich doch noch einmal mein Portemonnaie gezückt und den Eintrittspreis bezahlt.


Ein weiterer berühmter Zen-Garten. Nicht ganz so berühmt wie der des Ryoan-ji, aber auch wieder sehr stilvoll. Einen kleineren, reinen Felsengarten gab es auch, aber der Zen-Garten auf dem oberen Bild ist die Hauptattraktion des Nanzen-ji. Eine ganze Weile blieb ich sitzen, um den Anblick auf mich wirken zu lassen. Es waren auch kaum andere Besucher da, es war also wirklich entspannend.

Besser gesagt: es hätte wirklich entspannend sein können, wenn nicht irgendjemand auf die "geniale" Idee gekommen wäre, an der Decke der Aussichtsterrasse einen Lautsprecher anzubringen und diesen Lautsprecher in regelmäßigen Abständen irgendwelche Parolen zum angemessenen Verhalten im Tempel oder Buddhalobgesänge oder Bekanntmachungen bezüglich der Tempelschätze (um das zu verstehen, reicht mein Japanisch bei weitem noch nicht aus) quäken zu lassen.


Ich ging dann weiter durch den Tempel, sah den anderen Felsengarten und andere kleine Gärtchen. Im hinteren, großen Garten gab es zum krönenden Abschluß auch noch einmal etwas Rot und Gelb zu sehen.

Ich hätte es durchaus zeitlich noch geschafft, einen siebten Tempel aufzusuchen, aber das Ergebnis wäre wahrscheinlich visuelle Übersättigung gewesen. Müde war ich auch, also machte ich mich auf den Rückweg.

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* "Oh, wie schön! Ist das nicht schön? Oh! Wunderschön! Wunderschön! Wunderschön!"

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