Donnerstag, Oktober 12, 2006

Reisebericht Teil 3: Die Küste entlang

Ursprünglich hatte ich gedacht, am Mittwoch in den Kirishima-Nationalpark zu fahren und mir die Berge anzusehen. Aber nachdem ich am Tag zuvor schon so viele Stunden im Zug und dann im Sightseeingbus verbracht hatte, fand ich die Aussicht, schon wieder stundenlang mit dem Bus zu fahren und irgendwo in der Pampa steckenzubleiben (so oft fahren die Busse da nämlich nicht), nicht mehr so berauschend. Stattdessen bin ich die Küste entlang nach Süden gefahren, habe stundenlang im Bus gesessen und bin sogar für eine Stunde in der Pampa steckengeblieben.

Die Tour hatte ich eigentlich erst am Freitag machen wollen, aber letztlich war es doch gut, daß ich nicht in die Berge gefahren bin. Der Himmel war den ganzen Tag über mit schweren Wolken behangen, da hätte ich nicht viel von der Aussicht gehabt. Windig war es auch.

Mit dem Bus bin ich die sogenannte Nichinan-Küstenlinie abgefahren, zur Linken den Pazifik und atemberaubend schöne Felsformationen, zur Rechten die Berge. Mein erster Halt war Aoshima, eine kleine Insel mit einem Umfang von nur 1,5 km, die durch einen kleinen Damm mit dem nahegelegenen Festland verbunden ist. Sie beherbergt laut Reiseführer Betelpalmen und viele andere Arten subtropischer Pflanzen. Ich habe nur die Palmen erkannt, alles andere sah für mich ganz normal aus. Aber ich habe ja auch nur Geisteswissenschaften studiert. ;-)


Die Insel ist von plattenförmigen Felsen umgeben, die bei Niedrigwasser offenliegen. Wellen und Erosion haben ihnen die Form eines "Riesenwaschbretts" gegeben. Da kann man problemlos drauf herumlaufen (teilweise war es allerdings ein bißchen rutschig). Und im Hintergrund toste der Pazifik. Klasse! Ich war ja auch deshalb nach Miyazaki gereist, um endlich mal den Pazifik zu sehen, und bei dem Wind zeigte er sich von seiner besten Seite, mit großen Wellen, die im Minutentakt gegen die Felsen schlugen. Bei strahlend blauem Himmel und Windstille wäre es doch nur langweilig gewesen.

Einen kleinen Schrein gibt es auf der Insel natürlich auch. Mal abgesehen davon, daß er inmitten des Palmenwäldchens steht und - laut eines meiner Infoblätter vom Flughafen - den Großeltern des ersten japanischen Tennō geweiht ist (mehr zu ihrer Geschichte steht weiter unten), ist er reichlich unspektakulär.


Ich habe natürlich auch einen Spaziergang rund um die Insel gemacht. Anderthalb Kilometer sind ja wirklich keine übermäßige Herausforderung. Als ich den größten Teil geschafft hatte, fing es an zu regnen. Gut, wahrscheinlich hat es schon früher leicht zu regnen angefangen, aber da konnte ich mir noch erfolgreich einreden, das sei lediglich Gischt, die der starke Wind herüberweht. Aber nun ließ es sich nicht mehr ignorieren. Zunächst sah ich zu, wieder zum Schrein zu gelangen, wo ich mich unterstellen konnte. Nach einer Weile habe ich dann doch noch etwas Geld in einen Regenschirm investiert, da mein kleiner natürlich im Hotelzimmer geblieben war. Dann ging ich aufs Festland zurück, kaufte ein Postkartenset, setzte mich in eines der Touristenrestaurants, bestellte mir ein Mittagessen, schrieb ein paar Postkarten und wartete auf das Ende des Regens.

Dann ging ich zur Bushaltestelle zurück, wo ich zum Glück nicht lange warten mußte. Mein nächstes Ziel war der Horikiripaß, vom Reiseführer als guter Aussichtspunkt über die Nichinan-Küstenlinie empfohlen.


Die Aussicht war tatsächlich sogar bei diesem Wetter grandios. Noch mehr dieser Riesenwaschbretter, eine attraktive Felsenküste, und dazu wieder gewaltige Wellen - schön!


Dummerweise ist die grandiose Aussicht, so faszinierend sie auch ist, das einzige, was es an diesem Ort gibt. Nach ein paar Fotos hatte ich alles gesehen. Und der nächste Bus kam erst eine Stunde später.


So sieht das aus: eine einsame Bushaltestelle mitten in der Pampa, dazu ein kleiner Parkplatz, auf dem alternativ drei Autos oder ein Reisebus Platz haben, eine Informationstafel, die über die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Präfektur Miyazaki und deren Entfernung (mit dem Auto) aufklärt. Super.

In der Nähe gibt es eine Horikiripaß "Rest Area", mit dem Bus nur zwei Minuten entfernt. Zuerst habe ich versucht, zu Fuß hinzugehen (das kann ja gar nicht sooo weit weg sein - war es auch nicht), aber so was ähnliches wie einen Fußgängerweg gibt es dort natürlich nicht. Und nachdem kurz hintereinander erst ein LKW und dann ein Reisebus vor mir auf die Gegenfahrbahn ausgewichen sind, hielt ich es für klüger und sicherer, wieder zurückzugehen (wenn ich um die eine Kurve rumgegangen wäre, wäre ich da gewesen) und auf den Bus zu warten. Ich setzte mich also auf die Bank am Aussichtspunkt, genoß die Aussicht und las in meinem Reiseführer.

Gut fünf Minuten, bevor der Bus kommen sollte, kam ein einsamer Motorradfahrer auf den Parkplatz. "What are you doing here?" "I'm waiting for the bus." Es folgte ein kurzer Plausch über die Unzulänglichkeiten öffentlicher Verkehrsmittel in der Provinz und die japanische Angewohnheit, einen Aussichtspunkt als bedeutsam zu markieren, an dem es sonst nichts gibt (aber Japaner steigen ja auch nur für fünf Minuten aus dem sicheren Reisebus, schießen hundert Fotos und fahren dann gleich zum Essen weiter). "Where are you from?" "I'm from Germany." "I see. I'm from Taiwan." "Oh, THAT's why you speak English!!" (Tschuldigung, liebe Japaner, das ist mir in dem Moment einfach so rausgerutscht!)

Der Taiwanese machte dann ebenfalls seine zehn Fotos, wünschte mir noch einen schönen Urlaub und fuhr weiter. Kurz darauf bestieg ich dann den Bus und fuhr weiter zu meiner letzten Station, Udo-jingū. Das ist eine der berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Gegend und ganz eindeutig der Höhepunkt meiner Tour.

Von der Bushaltestelle ging es ein kurzes Stück Straße halb um einen kleineren Berg rum zu einem großen Parkplatz, auf dem gerade mal zwei Busse und drei Autos standen. Wirkte wieder alles sehr leer. Am anderen Ende gab es ein Omiyagegeschäft und direkt gegenüber die obligatorischen Torii, die den Eingang zu einem Schrein markieren. Direkt hinter den Torii führte eine Treppe aus ausgetretenen Steinen den Berg hinauf. Ich hatte kaum den Fuß auf die unterste Stufe gesetzt, als die Besitzerin des Omiyagegeschäfts zurückrief: Abunai, gefährlich! Wegen des Regens waren die Stufen glitschig (das habe ich natürlich nicht verstanden, daher hat sie mir das mit eindeutigen Gesten erklärt. Stattdessen sollte ich eine andere, kürzere Treppe hinauf und dann durch einen kleinen Tunnel gehen.

Auf der anderen Seite des Berges angelangt, fand ich ein weiteres kleines Dorf vor. Und eine Treppe nach oben. Ich dachte ja, dort den Schrein zu finden. Fehlanzeige. Da waren zwar auch ein paar vernachlässigte kleine Schreingebäude, einige Torii und ein kleiner Friedhof, aber nichts, was auch nur im Entferntesten eine Ähnlichkeit mit dem Bild des Udo-jingū von einer der Postkarten hatte. Außerdem war da keine Menschenseele zu sehen. Also ging ich die paar Schritte wieder nach unten in das Dorf, wo auch alles sehr ruhig war. Aber ein kleines Omiyagegeschäft hatte geöffnet (und die Besitzerin hockte im Nebenraum vor dem Fernseher). Da ging ich rein und erfuhr, daß ich den Weg im Gegenteil nach unten gehen sollte. Aha.

Leute, stellt doch einfach mal ein paar mehr Schilder auf!

Unten stieß ich zuerst auf ein paar mehr Omiyagegeschäfte (das untrügliche Zeichen dafür, am richtigen Ort zu sein). Touristen waren auch vorhanden, und auf der linken Seite war der Schrein schon zu sehen.


Der Schrein liegt unmittelbar an der felsigen Küste, und die Aussicht auf Meer, Felsen, Klippen und Wellen war einfach umwerfend. Das Rot der Torii, Gebäude und des Geländers, das den Weg sichert, leuchtet wunderschön vor dem dunklen Graubraun der Felsen.


Der eigentliche Schrein jedoch befindet sich in einer Höhle mitten in den Klippen. Eine Treppe führt noch ein ganzes Stück nach unten. Unten angekommen, befindet sich links gleich die Höhlenöffnung und rechts eine kleine Aussichtsplattform.


Der kleinere Felsen links hat die Form einer Schildkröte (ob das so ganz echt ist?.. Der helle Felsen rechts sieht aus wie der Kopf eines Schafs!). In ihrem "Panzer" ist eine kleine, viereckige Vertiefung. An einem kleinen Stand im Höhleneingang kann man kleine "undama", Glückssteine (aus Ton mit einem eingeprägten Kanji), erwerben. Wer es schafft, einen undama in die Vertiefung zu werfen, dem geht ein Wunsch in Erfüllung. Männer werfen mit der linken, Frauen mit der rechten Hand (und fragt mich jetzt bitte nicht, warum). Ich habe mich darauf beschränkt, die Aussicht zu bewundern. Das war wirklich klasse. Die Wellen schlugen gegen die Felsen, die Gischt schäumte und spritzte, und das Meer toste. Und das "Ich-war-am-Pazifik"-Beweisfoto habe ich dann auch noch bekommen.


Ja, es war windig. Das Hütchen hätte ich vielleicht doch besser aufbehalten. :-)


Warum bauen die Japaner in einer Felsenhöhle mitten in den Klippen einen Schrein? Weil der Sage nach in dieser Höhle der Vater des ersten japanischen Kaisers, Jimmū Tennō, geboren wurde.
Seine Eltern waren Yamasachi, ein Urenkel der Sonnengöttin Amaterasu, und Toyotama, die Tochter des Meeresgottes. Zur Geburt hatte sie sich in die Höhle zurückgezogen und ihrem Mann strengstens verboten, zuzusehen. Natürlich hat er es einfach nicht ausgehalten und nachgesehen. Und da sage noch einer, nur Frauen seien neugierig! Jedenfalls sah er, daß seine Frau sich in ein Riesenkrokodil verwandelt hatte. Toyotama jedenfalls war dadurch so erniedrigt, daß sie nach der Geburt sofort ins Meer zu ihrem Vater zurückgekehrt ist und den neugeborenen Sohn bei seinem Vater allein in der Höhle zurückließ. Den sogenannten "Milchstein", an dem das Wasser herunter- oder herauslief, von dem der Junge sich anfangs ernährte, ist hinten in der Höhle noch immer zu sehen. Tolle Geschichte.


Und ein wunderschöner Schrein. Im Inneren der Höhle herrscht tatsächlich eine mystische Stimmung vor, die jeden Besucher unfehlbar in ihren Bann schlägt.

Ich mußte mich dann aber beeilen, denn der Bus fuhr ja nur einmal pro Stunde, und so machte ich mich dann schleunigst auf den Rückweg. Was bin ich dabei ins Schwitzen gekommen! Und dann wurde es tatsächlich knapp. An dem letzten (oder ersten, je nachdem) Omiyagegeschäft angekommen, fragte ich die Besitzerinnen, ob es noch fünf oder zehn Minuten bis zur Abfahrt des Busses nach Miyazaki seien. Fünf. In zehn Minuten hätte ich es noch bis zur Bushaltestelle geschafft. Mist! Aber andererseits hatte ich mich so beeilt (und es war ja auch nicht gerade kalt, nur windig), daß ich völlig geschafft war, und so beschloß ich, auf den nächsten Bus zu warten. "Aber der nächste kommt erst in einer Stunde!" "Ich weiß, aber ich schaffe es nicht mehr, und ich muß was trinken." Die hatten da einen richtig leckeren Saft im Angebot, frisch gepresst (o.k., schon vor einer ganzen Weile gepresst, aber sie warfen den Mixer kurz noch mal an, damit sich das Fruchtfleisch wieder ordentlich in der Flüssigkeit verteilte). Mir wurde ein Stuhl angeboten, damit ich ein wenig verschnaufen konnte, ich bekam ein (völlig ungerechtfertigtes) Lob für meine Japanischkenntnisse, eine Mandarine und zwei verschiedene Bonbons, und zu guter Letzt durfte ich mich noch ins Gästebuch eintragen.

Bei soviel Gastfreundschaft erschien es mir unhöflich, danach einfach so zu verschwinden, ohne noch etwas Geld dagelassen zu haben, und so kaufte ich noch ein Set Postkarten vom Udo-jingū und eine Packung von den Bonbons, die ich schon hatte probieren dürfen. Die hatten dieselbe Form wie die undama vom Schrein und waren somit das ideale Omiyage für die Kollegen.

Danach verabschiedete ich mich von den beiden freundlichen Damen. Gastfreundschaft ist eine feine Sache, aber man soll sie nicht überstrapazieren. Außerdem war ich mit meinem Japanisch am Ende. So verbrachte ich die nächsten 45 Minuten auf einer Bank unter dem Vordach des Toilettenhäuschens (oder was auch immer das war, ein paar Meter weiter war noch eins) vom großen Parkplatz, schrieb noch eine Postkarte und las weiter in meinem Reiseführer. Rechtzeitig vor der Ankunft des nächsten Busses wanderte ich die paar Meter weiter zur Bushaltestelle, und zehn Minuten später saß ich glücklich und zufrieden im Bus nach Miyazaki.

Abends im Hotel habe ich eine letzte Postkarte geschrieben. An Kayo. Auf Japanisch!

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Der Bericht wie auch die Bilder sind wieder klasse! Scheint echt sehr schön dort zu sein. Das regnerisch-bewölkte Wetter verpasst dem Ort noch einen Tick mehr Mythik, meiner Meinung nach. Mal sehen, wenn ich mich irgendwann als Tourist mal aus Tokyo raustraue, werde ich den Ort als mögliches Reiseziel einplanen.
Aber erstmal irgendwann nach Tokyo reisen...

Ute hat gesagt…

Danke!

Mein Tip: besorg Dir einen internationalen Führerschein und miete Dir einen Leihwagen, wenn du nach Kyūshū oder sonstwohin in die japanische Provinz fährst. Dann bist Du nicht von Zug- und Busfahrplänen abhängig.

Julia hat gesagt…

Du hast wirklich Geschick dafür, immer richtig schöne Schreine ausfindig zu machen! Womit ich in keinster Weise andeuten will, Dein Blog sei zu schreinlastig - im Gegenteil, ich finde das toll, denn bei uns gibt's ja nicht so viele davon.

Ute hat gesagt…

Ich habe mir die Kritik aus der Heimat ja auch zu Herzen genommen und zeige ab und an auch mal was anderes. ;-)