Heute ist in Japan Feiertag, der Tag des Meeres, der immer am dritten Montag im Juli begangen wird. Dieses Jahr fällt er mit einem anderen Feiertag zusammen: dem Höhepunkt von Kyōtos Gion Matsuri. Dieses Fest wurde das erste Mal im 9. Jahrhundert abgehalten. Weitere Infos dazu gibt es hier.
Gion Matsuri dauert den ganzen Monat lang, aber immer am 17. Juli findet eine große Parade statt. Da ich heute frei habe, wollte ich die Parade auf gar keinen Fall verpassen, und so bin ich heute vormittag gemeinsam mit Ellie nach Kyōto aufgebrochen. Weil ich auf meinen letzten Ausflügen in der Hitze trotz reichlicher Getränkezufuhr immer Kopfschmerzen bekommen hatte, habe ich letzte Woche ein schickes Hütchen gekauft und heute mitgenommen.
Prompt hätte ich es gar nicht gebraucht, denn heute hat sich die Regenzeit mit heftigstem Dauerregen zurückgemeldet. In einigen Teilen Japans hat es sogar Überschwemmungen gegeben, doch in Kyōto war es einfach nur fürchterlich naß.
Dennoch war das schlechte Wetter ein Glücksfall: es war nicht so heiß wie in den letzten Tagen, und schwül war es auch nicht. Es war warm, aber erträglich, und atmen konnte man auch. Es hat nur stark geregnet, was anscheinend einige Leute dazu bewogen hat, sich die Parade in diesem Jahr nicht anzusehen. Jedenfalls fanden wir, sobald wir aus der Station ans Tageslicht getreten waren, sofort zwei Stehplätze in der ersten Reihe. Mit perfekter Sicht auf das Geschehen.
Und im Gegensatz zu den Leuten, die sich auf der anderen Straßenseite einen Sitzplatz gesichert hatten (auf der Homepage der Touristeninformation hatte ich vorgestern was von - ausverkauften - Karten für Sitzplätze gelesen), befanden wir uns auf einem überdachten Bürgersteig nahezu vollständig im Trockenen. Nur von der Straße her wurden wir ein ganz kleines bißchen naß. Nicht der Rede wert. Die Akteure auf der Straße dagegen waren schon klitschnaß, als wir ankamen. Viele hatten allerdings Regenschirme dabei oder einen Plastikregenmantel über ihre Kostüme gezogen. Aber alle hatten sie nasse Füße.
Als wir gegen halb elf ankamen, standen die Wagen schon auf der Straße, aber zunächst einmal geschah nichts. Vielleicht hatte die eigentliche Parade noch gar nicht angefangen (die Festwagen konnte Anita schon gestern abend auf der Straße aufgestellt bewundern), vielleicht mußte sie eine Zwangspause einlegen. Ich weiß es nicht. Doch nach einer Weile setzte sich der Zug langsam in Bewegung.
Um die großen Festwagen (genannt "hoko" - Lanzen, weil sie riesigen Hellebarden nachgebildet sind) in Bewegung zu setzen, braucht es jede Menge Muskelkraft. Viele Männer in Einheitstracht (die aber von Wagen zu Wagen unterschiedlich ist) ziehen sie an zwei dicken, langen Seilen die Straße entlang. Bei den kleinen Wagen braucht man wesentlich weniger.
Alle Festwagen, ob groß oder klein, sind prächtig geschmückt. Das war heute leider nicht so gut zu erkennen, da alles mit großen, aber immerhin transparenten Plastikplanen vor der Nässe geschützt werden mußte.
Im Obergeschoß dieser Festwagen sitzen die Musiker: vorne wird getrommelt, an den Seiten geflötet. Für mich wäre das nichts. Sehr sicher sieht das nicht aus, und die Fahrt ist manchmal schon etwas holperig. Ein Wunder, daß niemand runtergefallen ist!
Diese beiden haben die wichtigste Aufgabe: sie geben den Männern an den Seilen die Kommandos zum Starten und zum Halten. Denn die Wagen werden immer ca. hundert Meter weit gezogen, und dann ist erst einmal Pause. Dann dürfen sich alle kurz erholen.
Das Startkommando ist kein schnödes "Auf die Plätze, fertig, los!", sondern verlangt den beiden Herren einiges an Eleganz und Geschick ab. Da werden die Fächer synchron hin- und hergeschwenkt, während aus voller Kehle die Startformel gebrüllt wird, schließlich lehnen sie sich so weit nach vorne, wie es ihnen ihr Gleichgewichtssinn und die Gardinenschnüre erlauben, und strecken den Arm mit dem Fächer geradeaus. Während der Fahrt werden die Fächer immer elegant hin- und hergewendet. Ebenfalls synchron, versteht sich.
In der Zwischenzeit sind oben auf dem Dach vier Männer damit beschäftigt, die meterhohe dünne Spitze des Festwagens zu stabilisieren (und dabei nicht selbst herunterzufallen). Außerdem laufen neben jedem großen und kleinen Wagen jede Menge Männer nebenher, die anscheinend keine besondere Aufgabe haben, sondern nur für ein bißchen Masse zu sorgen.
Bei jedem Halt sichern vorne zwei hölzerne Bremsklötze den Festwagen ab. Während der Fahrt werden die Klötze an Seilen direkt vor den riesigen Vorderrädern her gezogen. So wird verhindert, daß der Wagen zu schnell wird. Beim Abbremsen hält auf jeder Seite ein kräftiger Mann einen vorne dünnen Balken vor das Rad. Das sorgt vermutlich für eine weitere Verlangsamung der Fahrt. Und für ein unheimlich klingendes Rumpeln.
So sieht das ganze dann von hinten aus. Sehr schön zu erkennen ist die hohe Spitze, die wie eine Lanze oder Hellebarde aussieht.
Diese beiden gehörten zum Begleitzug eines der kleineren Wagen. Der Mann kam plötzlich auf uns zu und fragte "Where are you from?" Dann zog er für Ellie und mich jeweils ein kleines "Geschenk" aus seiner Plastiktüte. Ein aus getrocknetem Schilf (?) hergestellter Fächer o.ä. (erinnert in seiner Form entfernt an die russischen Reisigbesen). Ist länger als mein Unterarm. Ein Glücksbringer, den wir an die Eingangstür hängen sollen. Davon wurden heute ziemlich viele unters Volk gebracht, aber nicht jeder hat eins abbgekommen. Da fühlten wir uns natürlich besonders geschmeichelt. Wir haben uns so sehr darüber gefreut, daß wir vergessen haben, ihn zu fragen, ob das außen oder innen angebracht werden soll.
Kurz nach zwölf war der letzte große Wagen an uns vorbeigefahren und dahinter wurde die Straße sofort für den Verkehr wieder freigegeben. Wie auf Kommando stürmten die Zuschauer auf die jeweils andere Straßenseite. Wir sind erst einmal etwas essen gegangen und anschließend nach Ōsaka zurückgefahren.
Nächste Woche findet das große Sommerfest in Ōsaka statt. Montag und Dienstag. Ich habe richtig Glück mit meinem Wochenende.
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