Nachdem Selina und ich uns vorgestellt hatten und die Nova-Leute unsere Namen in der Liste abgehakt hatten, hieß es zunächst noch ein paar Minuten warten, bis auch der letzte eingetroffen war. Insgesamt waren wir ca. 10 Leute. Als alle da waren, erhielt jeder sein „Arrival Packet“ mit näheren Informationen zur Wohnung, dem Schlüssel, dem Mietvertrag, einer Inventarliste der Wohnung und weiteren Informationen und Formularen. Danach zogen wir alle zum Ende der Halle, wo wir unsere großen Gepäckstücke aufgeben konnten, auf Kosten von Nova. Diese sollten am nächsten Abend zwischen 20:00 und 21:00 geliefert werden (und tatsächlich konnte ich Reisetasche und Rucksack am nächsten Abend um 20:20 von einem freundlichen Japaner in Empfang nehmen). Leider ging es nicht sofort los (ich brauchte dringend eine Dusche nach dem langen Flug), denn Selina und ein anderer Typ mußten für ihren nächsten Flug einchecken, und dann wurden noch ein paar neue Nova-Angestellte aus Kanada erwartet. Also verteilten wir uns auf ein paar Bänke (die Ankunftshalle war übrigens erstaunlich leer und ruhig) und inspizierten unsere Arrival packets. Selina hatte noch etwas Zeit, bis ihr Flug aufgerufen wurde, und setzte sich solange zu uns. Inzwischen hatte ich Angelica kennengelernt, aus Southhampton, die im selben Gebäude wie ich untergebracht wurde.
Als die Kanadier endlich da waren und die Weitereisenden sich endgültig von uns verabschiedet hatten, zogen wir in drei Grüppchen los in Richtung Ōsaka. Angelica und ich wurden von Jason zu unserer Unterkunft geführt. Außerdem mußte er die beiden Kanadier in den Shinkansen (den japanischen Superschnellzug) nach Kōbe setzen.
Zunächst fuhren wir fünf mit dem Haruka-Expreß vom Flughafen nach Ōsaka, zur Station Shin Ōsaka. Die Fahrt dauerte ca. 50 Minuten. Es war faszinierend: der Zug hielt am Bahnsteig, alle stiegen aus, aber wir durften noch nicht rein, weil erst eine Putzkolonne durch den Zug eilte. Bevor die Reinigungskräfte (je ein Mann pro Waggon) den Zug verließen, drückten sie noch einen Knopf, und alle Sitze drehten sich um 180°, so daß sie alle in Fahrtrichtung zeigten! Das müßte man mal in Deutschland einführen. Man trifft doch immer wieder alte Mütterchen im Zug (es scheinen immer nur Frauen zu sein, weiß auch nicht, woran das liegt), die irgendwann mit mitleidheischendem Blick und wehleidiger Stimme darum bitten, die Plätze zu tauschen, weil sie es nicht vertragen, gegen die Fahrtrichtung zu sitzen. (Jason drehte als erstes zwei Sitze wieder zurück, so daß wir uns bequem hinsetzen und uns dabei gegenseitig ansehen konnten...)
Die Fahrt dauerte, wie gesagt, 50 Minuten, und in diesen fünfzig Minuten konnte man quasi dabei zusehen, wie es ziemlich rasch dunkel wurde. Das liegt daran, daß Osaka nun mal etwas weiter südlich als Bad Oeynhausen oder Rostock liegt, und da sind die Unterschiede in der Länge von Tag und Nacht weniger ausgeprägt. Am Äquator sind die Tage und Nächte auch immer gleich lang.
In Shin Ōsaka angekommen, hieß es für Angelica und mich: eine weitere Dreiviertelstunde warten. Die beiden Kanadier mußte erst in ihren Zug gesetzt werden. Wir haben die Zeit genutzt, um uns in der Station etwas zu essen zu besorgen (nach einigem Überlegen haben wir beschlossen: „keine Experimente heute“ und sind zu Starbucks gegangen). Damit haben wir uns dann in die Wartehalle gesetzt, gegessen, getrunken, und so ganz allmählich registriert, daß wir nun wirklich in JAPAN sind.
Erste Eindrücke:
Es waren zwar ziemlich viele Menschen unterwegs, aber trotzdem war es im Bahnhof relativ ruhig. Zehn Meter weiter saß eine junge Frau und sprach in ihr Mobiltelefon, und während man in Deutschland (oder England, meinte Angelica) jedes Wort des Gesprächs hätte mithören dürfen, drang kein Laut davon an unsere Ohren.
Zwei Meter weiter von uns vor einer spiegelnden Wand übte eine Frau seelenruhig irgendwelche Tanzschritte. Das muß in Japan nichts ungewöhnliches sein, jedenfalls hat keiner darauf geachtet (mit zwei höchst faszinierten Ausnahmen).
Eine Verkäuferin in einem der zahlreichen Läden ringsum war die einzige Person weit und breit, deren Stimme ständig zu hören war. Ich habe natürlich kein Wort verstanden, aber sie wird wohl ihre Waren angepriesen haben. Jedenfalls schien sich alles zu wiederholen. Das an sich ist ja noch nichts merkwürdiges. Merkwürdig war ihre Stimme: was diese Frau an Tönen und Lauten produziert hat, klang eher nach einer Art von Papagei oder Kakadu anstatt nach einer Frauenstimme. Gestern und vorgestern habe ich – wieder von Verkäuferinnen – ganz ähnliche Laute gehört. Seltsam, seltsam...
Früher als erwartet tauchte Jason dann wieder auf und brachte uns endlich zu unseren Wohnungen. Zum Glück war es nicht mehr weit, denn das Apartmenthaus ist nur gute fünf Minuten von der Station Shin Ōsaka entfernt. Das ist natürlich klasse, zumal man von Shin Ōsaka aus schnell und bequem ins Zentrum gelangt. Zum Multimediazentrum, meinem Arbeitsplatz brauche ich von hier aus ca. 30 Minuten. Wenn man bedenkt, daß viele Japaner eine oder gar zwei Stunden bis zur Arbeit brauchen, dann habe ich es doch ziemlich gut getroffen, oder?
Das Apartmenthaus hat elf Stockwerke (das Erdgeschoß zählt allerdings als erstes Stockwerk), und ich wohne im neunten. Die Wohnung besteht aus einem schmalen Korridor, der zur Küche und dem anschließenden Wohnbereich führt. Vom Eingang aus gesehen auf der rechten Seite sind die drei Schlafzimmer, zwischendurch ein großer Wandschrank. Links sind Badezimmer und Toilette. Hinten schließt sich ein schmaler Balkon an. Die Aussicht ist nicht gerade berauschend, lauter andere Balkone vom Apartmenthaus nebenan, aber es ist ein Balkon, auf dem man seine Wäsche trocknen und die Futons lüften kann.
Barbara hat das Zimmer ganz hinten mit einem eigenen Ausgang zum Balkon. Auf der anderen Seite trennen es nur leichte, aber undurchsichtige Schiebetüren von dem mittleren Zimmer. Es hat leider keine Fenster, nur einen eigenen großen Wandschrank, der ein wenig dafür entschädigt, daß dieses Zimmer etwas kleiner als die beiden anderen ist. Das ist mein Zimmer. Ich hätte auch das andere größere Zimmer mit Fenster haben können, das außerdem im westlichen Stil gehalten ist. Im Klartext bedeutet das, daß es nicht mit Tatami-Matten ausgelegt ist, sondern einen häßlichen Linoleumboden hat. Womit schon gesagt wäre, warum ich es nicht genommen habe: es ist abgrundtief häßlich, und das Fenster bringt auch nicht wirklich was, denn es geht zum Eingangsbereich hinaus, ist von außen mit dicken Gitterstäben gegen ungebetene Besucher gesichert und von innen mit einer Art Milchglas, damit man von außen nicht reinsehen kann. Also habe ich mich für das hübschere japanische Zimmer mit Tatami entschieden. Sobald ich mich da endgültig eingerichtet habe, gibt es auch ein Foto.
Ich habe ja Elisa, die Italienerin, die gestern eingezogen ist, etwas bedauert, daß sie nun dieses häßliche Zimmer nehmen mußte, aber sie meinte sofort, sie sei sehr zufrieden damit, weil man Linoleum besser saubermachen kann als Tatami. Letztere dürfen nämlich nicht naß werden und können nur gesaugt werden. Aber es ist ein sehr angenehmes Gefühl unter den Fußsohlen.
Die Küche allerdings war eine herbe Enttäuschung. Sabines französische Kanalratten lassen grüßen. Es muß Jahre her sein, daß da mal richtig saubergemacht wurde. Der Gasherd, die Schränke, das Regal, der Großteil des Geschirrs – total versifft. Barbara, die vor drei Wochen eingezogen ist, hatte schon das Bad saubergemacht und danach von weiteren Putzaktionen erst einmal die Nase voll. Was ich voll und ganz verstehen kann. Jedenfalls werden Elisa und ich am Montag bei der Orientation mitteilen, daß wir mit dem Zustand der Wohnung nicht zufrieden sind.
Zum Glück habe ich gerade letzte Woche im WDR-Fernsehen in der Servicezeit einen Beitrag gesehen, wie man dem Küchenfett zu Leibe rückt: am Abend vorher Küchenpapier mit Wasser und Spülmittel tränken, auf die fettigen Stellen legen und über Nacht da lassen. Dann wird das Fett etwas gelöst und kann am nächsten Tag leicht weggewischt werden. Also habe ich gestern abend die halbe Küche mit nassem Toilettenpapier (in Ermangelung von Küchenkrepp) gepflastert. Eigentlich hätte ich das Ergebnis bildlich festhalten müssen, aber man will ja auch nicht jeden Mist fotografieren. Elisa ist unterdessen durch die Supermärkte gezogen und hat Reinigungsmittel organisiert. Heute vormittag wollten wir beide dann gemeinsam die Küche auf Vordermann bringen. Daraus wurde leider nichts, denn Elisa hatte über Nacht eine Erkältung bekommen und fühlte sich nicht so gut. Also habe ich mich alleine ans Werk gemacht. Die ganze Küche habe ich natürlich nicht geschafft, aber man kann die Arbeitsfläche inzwischen als solche benutzen, einen der Schränke anfassen und einen Teil des Herdes. An alle Stellen habe ich mich bei dem nicht getraut, denn ich hatte noch nie mit einem Gasherd zu tun und hatte keine Lust, das Ding durch irgendeine Unbesonnenheit in die Luft zu jagen.
Nach einer Weile habe ich dann Schluß gemacht, und heute abend hat Elisa (der es wieder besser geht, während ich jetzt anscheinend die Erkältung bekomme) erst die Geschirrschublade und anschließend das ganze Geschirr sauber gemacht und hinterher alles gewischt. Die restlichen Schränke und die Dunstabzugshaube werden wir ein anderes Mal in Angriff nehmen. Zumindest kann man die Küche jetzt einigermaßen beruhigt benutzen.
2 Kommentare:
Freue mich schon auf weitere Berichte. In so einem komplett anderen Kulturkreis hätte ich sicher arge Probleme ... allein der Flug dahin schon ... ;-)
Danke, aber ich werde versuchen, meine nächsten Posts nicht ganz so lang zu gesalten - aber ich hatte ja auch erst einmal eine Menge nachzuholen.
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