Freitag, November 10, 2006

Reisebericht Teil 3: Von Kawaguchiko nach Kitakami

Am Dienstagmorgen verließ ich mitsamt Rucksack die Jugendherberge schon um kurz nach acht. Vor Abfahrt des Busses wollte ich im Bahnhofsrestaurant noch einmal in Ruhe Kaffee trinken, um für die lange Weiterfahrt fit zu sein. Es war ein kalter (mein Wecker zeigte etwas über 12 Grad Innentemperatur), nebliger Morgen.

Im Restaurant war um die Zeit noch nicht viel los, nur ein anderer Gaijin saß mit einer Tasse Kaffee an einem der kleinen Tische. Ich nickte ihm kurz zu, wünschte "good morning" und setzte mich mit meinem Kaffee an den Nachbartisch. Den Kaffee hatten wir beide in hübschen Tassen serviert bekommen, die keinerlei Ähnlichkeit mit dem an solchen Orten sonst üblichen Großkantinengeschirr aufwiesen.

Der Mann drehte seine Tasse kurz in den Händen hin und her. "I'm wondering which kind of material these cups are." "I don't know ... Maybe it's clay or something like that?" So begann ein kurzer Small Talk über die Ausstattung des Bahnhofsrestaurants und das Geschirr im besonderen. Irgendetwas an dem Akzent des Mannes machte mich stutzig. Er war ebensowenig Muttersprachler wie ich, und ich hatte schon so einen Verdacht. "Where are you from?" "I'm from Austria." Na bitte.

Kurze Heiterkeit, dann ging es munter auf Deutsch weiter. Er erzählte, er sei mit seinem Orchester nach Tōkyō gekommen, aber weil er erst in einer Woche spielen müsse, habe er ein paar Tage frei. In einem späteren Flieger sei kein Platz mehr frei gewesen, und so nutze er die Zeit, um sich etwas von Japan anzusehen. Das machte er auch nicht zum ersten Mal. "Und welches Orchester ist das?" "Die Wiener Symphoniker." *schluck*

Während wir so plauderten, bemerkten wir plötzlich, daß sich der Nebel verzogen hatte. Es war ein wunderschöner Herbstmorgen mit strahlend blauem Himmel und Sonnenschein. Und durch das Fenster konnten wir noch etwas anderes sehen. Wie der Blitz stand ich mit meiner Kamera draußen auf dem Bahnhofsvorplatz.


Da war er in all seiner Schönheit zu sehen: der nahezu symmetrische Kegel des Fuji, bedeckt von einer leichten Schneekappe. Es war nur noch ein bißchen diesig, aber der Tag versprach insgesamt schön zu werden. Nur auf der anderen Seite des Bahnhofsvorplatzes waren noch ein paar Nebelfetzen im Auflösungsprozeß zu sehen.


Der Musiker wollte an diesem Tag mit einem Australier, den er in seiner Pension getroffen hatte, auf den Fuji steigen. Zumindest so weit wie möglich, denn oben lag ja schon Schnee, und dafür hatte er nicht das richtige Schuhwerk dabei. "Komm doch mit!" Zugegeben, ich wäre schon gerne noch ein Weilchen geblieben, aber Busfahrkarte und Shinkansenticket waren fest gebucht, und ich hatte noch einen weiten Weg vor mir. Um halb zehn Abfahrt in Kawaguchiko, um halb fünf Ankunft in Kitakami. Das wäre zu spät geworden.

Wir verabschiedeten uns also. Der Musiker wanderte zur Pension zurück, um den Australier abzuholen, ich ging mich noch kurz frisch machen und stellte mich an der Bushaltestelle auf und ließ mich von der Sonne bescheinen. Der Bus kam, der Busfahrer kontrollierte meine Fahrkarte und packte den großen Rucksack in den Gepäckraum, während ich meinen Platz einnahm. Ich war der einzige Fahrgast. Aber nur bis zum nächsten Halt am Vergnügungspark von Yoshida, wo noch ein paar Frauen einstiegen.

Im Unterschied zum Sonntagmorgen, wo ich teilweise nur mit Mühe meine Augen hatte aufhalten können, war ich hellwach und sah die ganze Zeit aus dem Fenster. Die Gegend dort ist einfach nur schön und zu allem Üerfluß blieb der Fuji noch eine gute halbe Stunde lang bei wechselnden Vordergründen in Sichtweite.


Mal war er hinter einem Wäldchen zu sehen, in dem sich das Laub rot und gelb zu färben begann, mal im Hintergrund von Wiesen oder kleinen Ortschaften. Aber irgendwann mußte ich mich von Japans heiligem Berg verabschieden. Der Chūō Highway (zulässige Höchstgeschwindigkeit: 80 km/h) führte den Bus durch schöne Täler und weniger schöne Tunnel immer näher an Tōkyō heran.


Nach einer Stunde Fahrt machte der Bus eine zehnminütige Pause auf einem Rastplatz. Ich war angenehm überrascht, denn auf der Hinfahrt hatte es das nicht gegeben. Aber es war eine gute Idee.

Die Berge und Wälder wurden weniger, allmächlich waren immer mehr Häuser zu sehen. Anstelle von Grün wurde Grau zur vorherrschenden Farbe, die Häuser wurden immer größer und höher, und schon war ich in Tōkyō.


Mein Endruck von der japanischen Hauptstadt: größer als Ōsaka (klar), aber auch nicht sehr viel schöner. Ein bißchen mehr Grün vielleicht. Aber das sah ich erst, als der Bus mitten im Stadtzentrum den Highway verließ und den Hauptbahnhof ansteuerte, seine Endstation. Ein Mitarbeiter des Busunternehmens hatte schon den Gepäckraum geöffnet und händigte mir mit einer Verbeugung meinen Rucksack aus. Das ist Service!

Bis zur Abfahrt hatte ich eine Stunde Zeit. Das war auch gut so. Hätte ich den Zug eine Stunde früher genommen, wäre es knapp geworden, denn der Bus war dank des innerstädtischen Verkehrs mit zehn Minuten Verspätung angekommen. Ich hatte also Zeit, noch ein kleines Mittagessen zu mir zu nehmen, die Toilette aufzusuchen und den richtigen Eingang für den nach Norden führenden Tōhoku-Shinkansen zu finden.

Schließlich stand ich auf dem Bahnsteig und wartete. Zuerst sollte noch ein anderer Zug in dieselbe Richtung abfahren, aber der fuhr durch Kitakami einfach durch. Die Passagiere hatten sich schon in einer ordentlichen Schlange an der Markierung für den Waggon aufgestellt.


Dieser Shinkansen fuhr in den Bahnhof ein, die Fahrgäste aus dem Norden stiegen aus. Die "neuen" Fahrgäste durften aber noch nicht einsteigen, denn erst einmal zog die Putzkolonne durch den Zug. Das kenne ich schon vom Limited Express, dem teuren Schnellzug, aber hier beim Shinkansen ging es schneller, weil jeweils drei Personen für einen Waggon zuständig waren. Schließlich war die Arbeit erledigt, die Reinigungskräfte verließen den Zug, nahmen das "Dieser Zug wird gerade gereinigt"-Schild ab, und die Pasagiere durften einsteigen. Kurz darauf fuhr der Zug ab, und die Fahrgäste für den nächsten (meinen) Zug nahmen die Plätze in der Warteschlange ein.


Und in der Zwischenzeit bearbeitete die Putzkolonne mal eben die Markierungen am gegenüberliegenden Gleis mit dem Wischmop.

Natürlich wurde auch "mein" Shinkansen kurz geputzt, bevor die anderen Passagiere und ich einsteigen und unsere Plätze einnehmen durften. Ich hatte Glück: ein Fensterplatz.

Zuerst ging die Fahrt durch die große Kantōebene rund um Tōkyō, aber je weiter es nach Norden ging, desto näher rückten die Berge. Oder, um es genauer auszudrücken, desto besser waren sie zu sehen. In und um Tōkyō war es nämlich ganz schön diesig.


Gegen drei Uhr hielt der Zug in Sendai, der größten Stadt in Tōhoku, dem nördlichen Teil Honshūs. Ganz in der Nähe liegt die Matsuhisma-Bucht, die dritte der drei schönsten Landschaften Japans. Sendai sah noch einigermaßen großstädtisch aus, aber danach wurde es immer ländlicher.


Und dunkler, denn die Sonne sank immer tiefer.


Abgeerntete Reisfelder und kleine Städte rauschten vor dem Fenster vorbei.


Kurz vor Ankunft des Zuges in Kitakami sah ich die Sonne hinter den Bergen am Horizont verschwinden. Dann stand ich auch schon auf dem Bahnsteig in Kitakami, wo Julia und Jakob schon auf mich warteten.

Was tun mit dem Rest des Tages? Zur Wahl standen das schönste Café der Stadt und ein Onsen. Da war ich schon ein Jahr in Japan und hatte mich noch nie in eine dieser berühmten heißen Quellen getraut, und nach der langen Fahrt nach zwei Tagen ohne warmes Wasser am Morgen erschien mir ein warmes Bad genau richtig. Wir fuhren also zu einem kleinen Onsen in Kitakami, der ein schönes Außenbecken hatte. Leider war die Sonne inzwischen endültig untergegangen, so daß wir von der Umgebung nichts mehr sehen konnten. Andererseits - ich hatte meine Brille abgenommen und hätte auch bei Tageslicht nicht mehr allzu viel erkannt. Trotzdem war es klasse und einfach entspannend. In der Dunkelheit sahen wir den weißen Wasserdampf über dem Becken aufsteigen. Das konnte ich sogar ohne Brille erkennen. ;-) Es gab nur einen kurzen Kälteschock, als wir die Tür vom Waschraum öffneten und nach draußen gingen, aber bis zum Becken waren es wirklich nur ein paar Schritte, und schon saß ich im heißen Wasser. Das kommt aus einer vulkanischen Quelle und roch daher leicht schwefelig. Soll aber gut für Gesundheit und/oder Schönheit sein. Doch allzu lange kann man sich nicht im Wasser aufhalten. Ziemlich bald war aus dem Bleichgesicht eine Rothaut geworden, aber das sah ich erst hinterher beim Blick in den Spiegel im Umkleideraum. *huch*

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