Samstag, April 29, 2006

Reisebericht Teil 1: Hiroshima

Am Montagmorgen um 10:11 war es soweit: Angelica und ich bestiegen den superschnellen Shinkansen, der uns in gut anderthalb Stunden von Ōsaka nach Hiroshima brachte. Eine sehr angenehme Fahrt. Sehr ruhig, fast sanft glitt der Zug durch die Landschaft. Innen: erstaunlich viel Platz. In den Großraumwagen sind jeweils fünf Sitze in einer Reihe, zwei inks, drei rechts, dazwischen der Gang, der so breit ist, daß man auch mit einem größeren Koffer (Marke rollender Kleiderschrank) relativ bequem hindurchrollen kann. Die Sitze selbst verfügen über etwas, das in Großraumwagen der Deutschen Bahn völlig unbekannt zu sein scheint: Beinfreiheit! Ich war doch sehr beeindruckt.

In Hiroshima angekommen, galt es zunächst, unser Hotel (Hiroshima Intelligent Hotel Annex) aufzusuchen. Mit Hilfe der bereitgestellten Wegerklärung war das überhaupt kein Problem, und nach einem ca. zehnminütigen Fußmarsch waren wir da. Das Zimmer war überwältigend: Betten! Nicht daß mein Futon so furchtbar wäre, aber ich hatte seit nun gut sechs Monaten nicht mehr in einem Bett geschlafen, und da war das natürlich eine willkommene Abwechslung.
Auch sonst machte das Hotel einen guten Eindruck: sauber, schönes Bad, schönes Zimmer, guter Service. Sehr zu empfehlen.

Nachdem wir uns kurz frischgemacht hatten, brauchten wir dringend etwas zu essen, und machten uns auf die Suche nach einem Restaurant und wurden schnell fündig. Das Hotel liegt auf einer Insel im Mündungsdelta des Ōta-gawa direkt an einem der Flußarme. Am anderen Ufer waren drei kleine Restaurants in Holzbuden, die ihre Tische am Ufer in die Sonne gestellt hatten. Dort setzten wir uns hin, genossen das leckere Essen und die warme Frühlingssonne (plus Meeresgeruch). Der perfekte Start in den Urlaub!

Anschließend ging es los in Richtung Stadtzentrum zum Friedenspark. Dazu mußten wir nur der belebten Straße folgen, und nach ca. 15 Minuten standen wir vor dem Genbaku Dome, einem der wenigen Gebäude, die in einem 3-km-Radius rund um das Hypozentrum der Explosion stehengeblieben waren. Wie man der Beschilderung entnehmen konnte, ist das Gebäude auch deshalb stehengeblieben, weil das Hypozentrum fast senkrecht über ihm war. Die Menschen in dem Gebäude sind in sekundenschnelle verdampft. Eine grauslige Vorstellung. Die Ruine wurde als Mahnmal an den Atombombenabwurf erhalten und gehört heute - zusammen mit dem Rest des Friedensparks - zum Weltkulturerbe.


Während wir noch auf dem kleinen Platz vor der Ruine standen und zwei kleinen japanischen Kindern beim fröhlichen Ballspielen zusahen, kam eine alte Frau auf uns zu. Sie zeigte uns ein Stück in Plastikfolie verschweißter Pappe, auf der auf Chinesisch, Englisch, Spanisch und Französisch "Erlauben Sie mir, für Sie zu beten?" geschrieben stand. Sie sagte, das sei ein Shinto-Gebet, es würde nur drei Minuten dauern, und wir sollten die Augen schließen. Wir wußten nicht so recht, was wir davon halten sollten, aber wir haben gehorsam die Augen zugemacht. Da ich als erste dran war, konnte ich bei Angelica zusehen. Da passierte nicht viel, außer daß die Frau die rechte Hand vor Angelicas Gesicht hielt und sie drei Minuten lang anstarrte. Als sie fertig war, drehte sie das Stück Pappe um, "you are purified now", bedankte sich bei uns und ging.
Ich weiß inzwischen, daß Reinigungszeremonien im Shintoismus eine wichtige Rolle spielen. Daher vermute ich, daß sie uns "reinigen" wollte, bevor wir den eigentlichen Friedenspark betraten, auf dessen Gelände damals so viele Menschen umgekommen sind.
Angelica und ich vermuten, daß die alte Frau eine Überlebende des Atombombenangriffs ist. Sie wirkte so beseelt von ihrer Aufgabe. Aber wir mochten nicht fragen.

Wir gingen dann über die Motoyasu-Brücke in den Friedenspark. Das erste Denkmal, auf das wir trafen, war das Friedensdenkmal der Kinder. Es erinnert an Sadako Sasai, die zehn Jahre nach dem Atombombenabwurf im Alter von zwölf Jahren an Leukämie erkrankte und acht Monate später starb. Auf dem Krankenbett begann sie, Origami-Kraniche zu falten. In Japan heißt es, daß das Falten von 1000 Kranichen einen Wunsch erfüllen kann, und Sadako faltete Kraniche für ihre Heilung. Sie hat aber nur etwas über 600 Kraniche geschafft. Den Rest falteten ihre Klassenkameraden nach ihrem Tod. Schließlich wurde das Denkmal errichtet, an dem jeder Origami-Kraniche niederlegen kann. Ehrensache, daß ich auch welche dort abgelegt habe (allerdings erst am Donnerstag, da ich Intelligenzbestie die gefalteten Kraniche in meinem Koffer vergessen hatte).



Als wir am Denkmal ankamen, waren gerade einige Schulklassen dort, um feierlich ihre 1000-Kraniche-Bündel niederzulegen.


Die bunten Kraniche werden in einigen Glasboxen, die in einem Halbrund hinter dem Denkmal aufgestellt sind, aufbewahrt. Schon wenn man etwas weiter entfernt steht, sieht man es bunt leuchten.

Etwas weiter hinten im Park steht die Friedensglocke, die jeder läuten darf. Am Montag war eine Gruppe alter Leute in Rollstühlen samt Angehörigen (?) und Pflegepersonal gekommen, die einzeln die Treppe hinaufgetragen und zur Glocke geschoben wurden, damit sie einmal läuten konnten.


Und alle wurden sie dabei fotografiert. Wieder haben wir vermtutet, daß es sich dabei um Überlebende handeln könnte, aber wir wissen es nicht.
Jedenfalls sind auch wir anschließend einmal läuten gegangen, um unseren bescheidenen Beitrag zum Weltfrieden zu leisten.


Wir sind dann noch weiter durch den Friedenspark gewandert, haben die zahlreichen weiteren Denkmäler besichtigt, von denen das Denkmal für die koreanischen Opfer (viele davon Zwangsarbeiter) und das Denkmal für die mobilisierten Schüler besondere Erwähnung verdienen. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis das Denkmal für die koreanischen Opfer errichtet werden konnte. Japan schweigt sich über die dunklen Kapitel seiner Vergangenheit gerne aus.
Am Tag des Atombombenabwurfs waren viele Schüler in der Gegend, die dazu abgeordnet waren, Brandschneisen in der Stadt zu legen, um Hiroshima im Falle von Bombenangriffen vor den verheerenden Feuersbrünsten zu schützen. Sehr viele von ihnen haben den Bombenangriff nicht überlebt.

Da für Donnerstag Regen vorausgesagt war, hatten wir die Besichtigung des Friedensgedächtnismuseums für Donnerstag angesetzt. Am Montagnachmittag zogen wir daher weiter zu Hiroshima-jō, der wiederaufgebauten Burg.


Das interessanteste in der Burg war ein animierter Bericht über die Entstehung der Stadt durch die Videoprojektion (Hologramm?) eines aufgedrehten japanischen Burgwächters aus der Feudalzeit, dessen Erzählung man sich auch in Englisch anhören konnte. Sehr amüsant. Ebenso das Faltblatt zur Besichtigung, das in mehreren Sprachen erhältlich ist, u.a. auch in Deutsch. Manchmal frage ich mich schon, warum die Japaner bei der Herstellung dieser Faltblätter nicht wenigstens ab und an mal einen Muttersprachler konsultieren...
Vom obersten Stockwerk genossen wir die wunderbare Aussicht auf die Stadt und die umgebenden Berge. Bei klarem Himmel wäre die Sicht atemberaubend gewesen, aber Montag war es diesig (oder war es doch Smog?), und so war das Bild eben "nur" wunderbar.


Im Park der Burg stehen drei Bäume, die als Überlebende des Atombombenangriffs gekennzeichnet sind. Das hier ist ein Eukalyptusbaum.


Von der Burg zogen wir weiter zum Shukkei-en, einem schön gestalteten Garten. Er ist nach einer chinesischen Landschaft (Xihu in Hangzhou, wo auch immer das sein mag) gestaltet.



Ein schöner Abschluß unserer Stadtbesichtigung, durch diesen wunderschönen Garten mit seinen zahlreichen kleinen Brücken, Teehäusern und Blumen zu schlendern (wenn auch etwas zügig, da wir 40 Minuten vor Toresschluß ankamen).

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