Sonntag, Januar 07, 2007

Neues Jahr, neuer Blog

Gestern vor einem Monat bin ich aus Japan zurückgekommen, und damit haben sich Titel und Thema dieses Blogs hier endgültig erledigt. So ganz aufhören möchte ich mit dem Bloggen aber nicht, dazu macht es viel zu viel Spaß. Darum gilt ab heute: neues Jahr, neuer Blog! Fortan geht es hier weiter.

In diesem Sinne wünsche ich meinen Lesern etwas verspätet ein frohes neues Jahr und hoffe, Euch mit dem neuen Blog genauso gut unterhalten zu können wie mit dem alten.

Über den korrekten Umgang mit einem hilfesuchenden Ausländer

Über ein Jahr lang habe ich in Japan Deutsch unterrichtet und gleichzeitig auch Japanisch gelernt, um in dem fremden Land besser zurechtkommen zu können. Ich habe die Schwierigkeiten, die mit dem Erlernen einer Fremdsprache verbunden sind, also aus beiden Perspektiven kennengelernt. Daher möchte ich zum Abschluß meines Japantagebuchs eine kleine Handreichung für den angemessenen Umgang mit ausländischen Touristen geben. Der Einfachheit halber gehe ich mal von meinen ehemaligen japanischen Schülern aus, aber natürlich gilt das, was ich hier aufschreibe, auch für alle anderen Weltbürger.


1.) Stell Dir bitte folgende Situation vor: auf dem Bahnsteig kommt ein Japaner auf Dich zu und fragt mit hörbarem Akzent, aber in dennoch einigermaßen flüssigem Deutsch: „Entschuldigung, fährt dieser Zug nach Berlin?“

Es ist natürlich durchaus möglich, daß Dein Gesprächspartner Germanistik studiert hat, seit mehreren Jahren in Deutschland lebt und fließend Deutsch spricht. Es ist aber genauso gut möglich (und davon solltest Du besser ausgehen), daß er die letzten fünf Minuten lang auf dem Bahnsteig gestanden und nach einem sympathisch und hilfsbereit aussehenden Einheimischen Ausschau gehalten hat, bis sein Blick auf Dich fiel. Gleichzeitig hat er den Fragesatz in Gedanken immer wieder neu aufgesagt, um jetzt bloß nichts falsch zu machen.

In diesem Fall erwartet er nur eine einfache Antwort auf die Frage, nämlich ein klares „Ja“ oder „Nein“. Mehr nicht. Und schon gar nicht erwartet er Sätze wie „Sicher, das ist doch der IC, der hält in Zoo und jetzt auch im neuen Hauptbahnhof.“ Bei der Antwort sind Verwirrung und Verzweiflung des Touristen vorprogrammiert.
Genau so etwas ist mir in Japan passiert. Auf die einfache Frage „Entschuldigung, ist das der Zug nach Takarazuka?“ überschüttete mich eine freundliche Japanerin mit einem Wortschwall, von dem ich absolut nichts verstehen konnte. Es ist das alte Problem: die Leute halten sich einfach nicht an die Dialoge aus den Sprachlehrbüchern.

2.) Ortswechsel. Unser ausländischer Tourist steht, mit seinem Reiseführer bewaffnet, ratlos mitten in Berlin und sucht, sagen wir mal, die Museumsinsel. Die kleinen Stadtpläne in Reiseführern zeichnen sich nicht immer durch größte Genauigkeit aus, das weiß jeder, der schon mal versucht hat, sich nur mit Hilfe der Stadtplanausschnitte in einer fremden Stadt zurechtzufinden. Ich habe mich damit schon in Miyazaki verlaufen, warum sollte es also einem Japaner in Deutschland besser ergehen?

„Entschuldigen Sie bitte, wie komme ich zur Museumsinsel?“

Das ist jetzt keine einfache Ja-Nein-Frage mehr. Hier ist etwas längere Antwort gefordert.

Folgende Antwort kann er NICHT verstehen:

„Dasisganzeinfach. Gehnsegradausbiszurzwein *nuschelnuschelnuschel...“

Wer, bitte schön, soll das verstehen?! Also: Schön langsam sprechen. Gaaaaanz laaangsam. Und deutlich, ohne die Hälfte der Silben zu verschlucken. Mund auf beim Sprechen!!

Folgende Antwort kann er auch nicht verstehen:

„Du gehen gradeaus. Zwei Kreuzung. Dann du abbiegen links. Nächste Kreuzung du rechts abbiegen. Dann du rechts sehen Museumsinsel.“

Welche Sprache soll das sein?! Deutsch ist es jedenfalls nicht. Eher ein Zeichen dafür, daß der Sprecher in seiner grenzenlosen Beschränktheit sein Gegenüber für doof hält.

Wer im Nova-Sprachkurs bis zur Lektion „Einfache Wegbeschreibungen geben“ gekommen ist, kann folgende Antwort verstehen (gerne auch durch Gestik unterstützt):

„Das ist ganz einfach. Gehen Sie geradeaus bis zur zweiten Kreuzung. Da biegen Sie links ab und gehen geradeaus weiter. Dann biegen Sie an der nächsten/ersten Kreuzung rechts ab. Dann sehen Sie die Museumsinsel auf der rechten Seite.“

Wenn langsam und deutlich gesprochen wird, versteht sich. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber es ist mir selbst sooo oft passiert, daß Japaner aus einer halbwegs flüssig gestammelten Frage meinerseits auf perfekte Beherrschung des Japanischen geschlossen und entsprechend geantwortet haben.

3. ) Es gibt aber auch Situationen, in denen einfach formulierte Antworten einfach nicht ausreichend sind. "Welches Dressing möchten Sie?" In dieser Situation muß ich als Muttersprachlerin schon oft genug nachfragen. "Was gibt es denn?". "Cocktail, French, Knoblauch, und Remoulade." In der Regel wird mir das von der Bedienung mit unglaublichem Sprechtempo um die Ohren geknallt. Ich wähle in der Regel das aus, was ich verstanden habe.
Falls der Japaner das zufällig verstanden haben sollte, wird ihm das nicht viel weiterhelfen. Was um alles in der Welt ist "Remoulade"? Oder "Knoblauch"? Er wird jetzt nicht das Wörterbuch herauskramen, während die zehn Leute hinter ihm in der Schlange hörbar ungeduldig werden. Da hilft nur eines: triff Du einfach die Entscheidung (ich würde irgendwas ohne Knofi nehmen), dann ist allen geholfen.

Zum Schluß noch ein paar kleinere Anmerkungen.

Wenn der Tourist sich schon die Mühe gibt und Dir auf Deutsch eine Frage stellt, kannst Du ruhig auch auf Deutsch antworten. Zwar (ich weiß, ich wiederhole mich) langsam und deutlich, aber auf Deutsch. Wenn er die Antwort beim ersten Mal nicht versteht, darfst sie gerne noch einmal wiederholt werden. Noch eine Spur langsamer und, wenn möglich, mit einfacheren Formulierungen. Wenn er es dann immer noch nicht versteht, kann man immer noch ins Englische ausweichen. Aber bitte nicht eher. Gönn ihm doch das Erfolgserlebnis, Deutsch gesprochen und vor allem verstanden zu haben!

Ebenfalls sehr wichtig: mach bitte nicht den Fehler, mangelnde Deutschkenntnisse mit einem niedrigen Intelligenzquotienten gleichzusetzen. Der japanische Tourist ist nicht blöd, er hat nur eine andere Muttersprache. Bevor Du Dich darüber aufregst: wie gut ist denn Dein Japanisch, hm? Na, bitte.